Oltrepo Pavese - Französische Vorbilder mit Champus und Burgund

Wein in der Lombardei - Rozsika Farkas auf den Spuren von Metodo Classico und Pinot Nero

Foto oben: Carlo Veronese, Direktor des Konsortiums, und Autorin Rozsika Farkas mit Champagner-Messer

Das Oltrepò Pavese ist das größte Anbaugebiet für Pinot noir außerhalb Frankreichs. Die schönsten Ergebnisse erzielt die feine Traube hier als Spumante, hergestellt in traditioneller Flaschengärung: rosa Perlen für die Lombardei!

Oltrepò bedeutet wörtlich „über den Po hinaus“, jenseits des Po, vom Norden her gesehen. Das Oltrepò Pavese ist also eine italienische Weinregion südlich des Po in der Provinz Pavia. Es hat die Form eines nach Süden spitz zulaufenden Keils, der eingeklemmt ist zwischen dem Piemont im Westen und der Emilia Romagna im Osten. Mit seinem Südzipfel berührt der Keil Ligurien. Am prägendsten ist die Nachbarschaft zum Piemont, das als eins der nobelsten Anbaugebiete Italiens gilt und von dem das Oltrepò selbst einst ein Teil war.

UNSER LESER-SERVICE Kostenlos im Bereich für registrierte Nutzer einige ebooks der italienischen Weinregionen (10 Bücher insgesamt als Auszüge aus dem Weinbuch Italiens Weinwelten) anschauen und herunterladen.

Jetzt zur Registrierung

Feine Schaumweine zwischen Piemont und Emilia

Das Oltrepò Pavese ist das größte Weinanbaugebiet der Lombardei, aber was will das schon heißen. Die deutlich kleinere Franciacorta, ebenfalls in der Lombardei gelegen, hat das viel größere Renommé und gilt als Herkunft der besten italienischen Schaumweine. Für einzelne Gewächse bezahlen Freunde des feinen Sprudels dreistellige Beträge. Das Oltrepò hingegen lieferte die längste Zeit – und tut es noch – Grundweine für Spumante aus dem Piemont oder auch für deutschen Sekt. Dazu passt, dass selbst die Präsidentin des Consorzio dell’Oltrepò, Gilda Fugazza, die Früchte ihrer Weinberge nicht selbst in Flaschen füllt, sondern als Fasswein verkauft, aus dem andere Kellereien dann irgendwelche Markenweine herstellen. 

Wäre das schon die ganze Wahrheit, lohnte es sich nicht, darüber zu schreiben. 
Doch zur Wahrheit gehört auch: das Oltrepò ist das größte Anbaugebiet für Pinot nero - also Spätburgunder - außerhalb Frankreichs. Und immer mehr Winzerinnen und Winzern wird bewusst, dass sie daraus weit mehr machen können, als anderen als Zulieferer für die Rohware zu dienen. Immerhin ist der Pinot nero eine der der feinsten, für viele Weinfreunde DIE feinste Rotweinrebe der Welt; daraus sollte sich doch mehr machen lassen! Dass sich die rote Traube nicht nur für Stillwein eignet, sondern die ideale Grundlage für allerfeinsten Schaumwein ist, wissen wir aus der Champagne. Immer mehr Winzern gelingen im Oltrepò elegante Spumanti aus hundert Prozent Pinot nero, weiß gekeltert oder als Rosé. Als Metodo classico DOCG bilden sie eine eigene Kategorie. Der Begriff bezeichnet ausschließlich in traditioneller Flaschengärung aus hundert Prozent Pinot nero im Oltrepò hergestellte Schaumweine. 
Vorreiter und nach wie vor führend in der Qualität sowohl bei rotem Stillwein wie auch beim Schaumwein ist das Weingut Conte Vistarini in Rocca de’ Giorgi unter der Leitung von Ottavia Vistarini. Sowohl der weißgekelterte Spumante wie auch der Rosé – der im Oltrepò seine Farbe übrigens immer durch Maischestandzeit erhält und nicht, wie in Champagne weithin üblich, durch Zugabe von Rotwein – brauchen den Vergleich mit den prominenten Schäumern der Franciacorta nicht zu scheuen. 
Wie hoch ganz allgemein der Qualitätsstandard in Sachen Pinot-Spumante inzwischen ist, zeigt sich darin, dass selbst eine Genossenschaft wie La Versa mit einer Jahresproduktion von fünf Millionen Flaschen mit hochfeinem Metodo classico aufwarten kann. 

Klassenaufstieg des Oltrepo ist gelungen

Ja, man will raus aus dem Billig-Segment und mit Qualität überzeugen. Doch der Aufstieg ins gehobene Segment erfordert einigen Aufwand, und dass man sich dabei leichter tut, wenn der finanzielle Hintergrund stimmt, ist klar. Qualität kann eben auch eine Frage des Geldes sein. Besuche bei zwei sehr unterschiedlichen Weingütern illustrieren das exemplarisch. 
Da ist zum Einen Montebello. Lieferant korrekter, aber eher schlichter Weine, über die die Journalistenschar eher peinlich berührt hinwegsieht. Er bedient große Märkte, exportiert hierhin und dorthin und träumt davon, mal richtig guten Wein zu machen. Die Klimakapriolen setzen jemandem wie ihm mächtig zu. Nach diesem dürren Sommer, in dem das bisschen Regen, das fiel, von Hagel durchsetzt war, hat er einen Ernteverlust von vierzig Prozent. Gleichzeitig hat er Verträge zu erfüllen, die er nicht einhalten kann, weil er die Menge nicht hat. „Keine Ahnung, wie es weitergeht“, sagt er ratlos, vielleicht pflanze ich übernächstes Jahr Erdbeeren.“ Dabei würde er so gern endlich auch einen höherwertigen Wein machen, einen schönen Barbera und einen feinen Pinot nero. Wann und ob überhaupt ihm das gelingen kann, steht in den Sternen. 
Da tun sich Alberto Zucchi Frua und Marco Cordano von Castello di Cigagnola schon leichter. Vom Start weg spielte das 2005 gegründete Weingut in der Oberklasse mit. Es macht Freude, die zwei enthusiastischen Männer zu sehen, die die Weine vorstellen und die offensichtlich mit Herzblut ihrer Arbeit nachgehen. Allerdings ist das Weingut nicht ihr eigenes, vielmehr gehört es der Familie Moratti. Die haben mehr Geld als Berlusconi, heißt es... Der „Angelo“, ein Spumante metodo classico aus hundert Prozent Pinot nero ist ein Ausbund an Eleganz und Finesse. 6.000 Flaschen werden davon jährlich produziert, 42 Euro kostet die Flasche in der eigenen Vinothek. 

Rote Perlen oder Barbera nach Art des Piemonts

Gelungen ist auch der Barbera von Castello di Cigagnola im Piemont-Stil. Für das Anbaugebot ist er – noch – etwas schwer vermittelbar. Ein Problem des Oltrepò: Man ist dem Piemont nah und war einst selbst Teil davon - jetzt soll man sich davon abheben und eine eigene Identität zur Schau stellen. Doch wer einen hochkarätigen Barbera anbieten will, kommt damit fast zwangsläufig in die Piemont-Richtung. Die nationale Weinkritik weiß schon die Anstrengungen von Castello di Cigagnola zu schätzen; wiederholt gab es vom Gambero Rosso drei Gläser für dessen Barbera und Spumanti. 

Unbedingt besuchenswert, weil ein staunenswertes Gesamtkunstwerk, ist Castello di Luzzano. Angefangen von den zweitausend Jahre alten Artefakten im gutseigenen Museum bis zu den kunterbunten Kreationen von Hausherrin Giovanella Fugazza, die nicht nur die Etiketten und Verpackungen für den Wein gestaltet, ist hier reichlich für die Augen geboten. Für den Gaumen gibt es fein geschliffenen Barbera und sehr achtbaren Pinot nero mit gutem Reifepotenzial – mit Freude zu trinken aktuell der 2010er – sowie ausgezeichnete Küche im gutseigenen Restaurant. Die Spezialität der Region, nämlich Risotto, kommt hier als Risotto alla Bonarda, dem tiefdunklen Wein aus hundert Prozent Croatina, auf den Tisch, eine Köstlichkeit.

Hört, Hört: Riesling und Riesling

Dann haben sie hier noch ein Faible für Riesling, den es in zwei Varianten gibt: Riesling renano, also Rheinriesling, und Riesling italico, zu deutsch Welschriesling, der mit der weißen Edelrebe weder verwandt noch verschwägert, sondern ein eher schlichtes Gewächs ist. Ein gesetzgeberisches Kuriosum ist die Tatsache, dass auf dem Etikett nicht vermerkt werden darf, um welche der beiden Riesling-Spielarten es sich handelt. Das liegt allerdings nicht an den Italienern, sondern daran, dass es sich der deutsche Gesetzgeber verbittet, dass italienische, also fern des Rheins entstandene Weine als „Rheinriesling“ vermarktet werden.

Unterwegs zum Weingut Molino di Rovescala, wo uns Riesling aller Art erwartet. Beim Einbiegen auf den rumpeligen Feldweg kommt uns eine Glucke mit einem halben Dutzend winziger Küken entgegen. Um die Ecke geht es munter weiter: Hennen unterschiedlichster Rassen und Truthühner wuseln munter durcheinander, zwei Pfauen schreiten stolz den Gang zwischen zwei Rebzeilen entlang. Ein Hund sitzt einträchtig mit ein paar Enten im Schatten; auf einem Stuhl schläft eine weißgefleckte Katze. In diesem Idyll – dass es sich hier um ein Bio-Weingut handelt, versteht sich wohl von selbst – entsteht Riesling, der seinen Namen verdient. „Wir wollen nicht imitieren“, sagt der Hausherr, „was andere, bedeutendere Anbaugebiete machen, sondern einen Riesling, der typisch für hier ist. Der die hiesigen Böden und das hiesige Klima widerspiegelt.“ Interessant, dass auf diese Weise ein Riesling entsteht, der von allen Probierten am ehesten deutsch rüberkommt, mit Duft von weißem Pfirsich und Noten von Feuerstein. Neben dem bergkristallklaren Rheinriesling haben sie hier auch ein paar Spielereien auf Lager: Cuvées aus Rhein- und Welschriesling oder Riesling mit mehrtägiger Maischestandzeit. 

Eigenwillige Gewächse sind ein Markenzeichen 

Ja, die Winzer des Oltrepò sind experimentierfreudig und sie haben, wenn ihnen nicht gerade ein Unwetter die Lese verhagelt, Spaß daran, unaufhaltsam die Qualität zu steigern. Neben dem großen Schatz, den sie mit dem Pinot nero besitzen, aus dem sie einige der besten italienischen Schaumweine gewinnen, widmen sie sich gern auch unbekannteren, eigenwilligen Gewächsen. Neben überraschendem Riesling gibt es noch den tanninmächtigen dunklen Buttafuoco, bestehend aus ein bis zwei Dritteln Barbera, dazu Croatina, Uva rara und Ughetta di Canneto. Von ihm gibt es einige hoch bewertete, fast monumentale Exemplare. An die östliche Nachbarregion Emilia Romagna erinnert der süße rote Schäumer Sangue di Giuda („Judasblut“), etwas für Liebhaber von Lambrusco. Mit dem westlichen Nachbarn Piemont verbindet nicht nur Barbera, sondern auch der süße Prickler Moscato, den das eine oder Gut im Angebot hat. Eingebettet sind die Weinberge, die all diese unterschiedlichen Tropfen hervorbringen, in eine freundliche Hügellandschaft, in der es keine großen Städte, sondern nur angenehme kleine Ortschaften mit vielen gastfreundlichen Adressen gibt. Kurzum: das Oltrepò ist eine Entdeckungsreise wert. 

Pernice, Bertone und Tavernetto sind die drei Crus des Pinot Noir von Conte Vistarino

„Pinot Nero offenbart die tiefsten Geheimnisse eines Terroirs“, sagt Ottavia Giorgi di Vistarino, auf deren Familiengut im Oltrepò Pavese südlich von Mailand diese Rebsorte auf 65 Hektar angebaut ist. Seit den frühen 2000er Jahren erforscht sie deren Nuancen und Wechselwirkungen mit dem Boden.
Der Jahrgang 2019 ist der siebte der drei Pinot Nero-Crus. Sie sind die Aushängeschilder des Weingutes: Pernice, Bertone, Tavernetto. Drei Expressionen, die von einzelnen Weinbergslagen erzählen, und der Sensibilität (und der Ausdauer und Hartnäckigkeit) einer einzelnen Winzerin.
Und wenn auch Pernice, der mittlerweile historische Vorläufer dieser Studien ist, so folgten Bertone und Tavernetto mit der Ernte 2013: „Nachdem wir das Terroir des Gutes einige Jahre analysiert hatten, haben wir außer dem bekannten Weinberg Pernice zwei weitere Parzellen von etwa 2 Hektar identifiziert, auf denen sich Eignung und Persönlichkeit miteinander verbanden. Zwei kleine „Wiegen“, in denen die neuen Crus Gestalt angenommen haben“, erklärt die Winzerin. 

Eckpfeiler dieser Vision ist Ottavias Fähigkeit, die Rebberge auf moderne und ganz persönliche Weise zu interpretieren. Das Ziel, dem Potenzial des Pinot Nero Ausdruck zu verleihen, wird im Weinberg durch eine integrierte Landwirtschaft mit geringer Umweltbelastung erreicht. Diese zielt darauf ab, die natürlichen Eigenschaften jeder Parzelle zu optimieren.
Die drei Weinberge liegen auf verschiedenen Talseiten, alle zwischen 350 und 400 Meter über dem Meeresspiegel. Pernice ist nach Süden/Südosten ausgerichtet, Bertone und Tavernetto nach Süden/Südwesten. Auch die Böden sind nicht homogen: neben dem Hauptgestein mit Kalk und Ton ist ein sehr unterschiedlicher Sand- und Schluffanteil zu finden.

Ottavia ist das Herz, die Seele und der Motor 

Der Jahrgang 2019, ein heißes und trockenes Jahr, bringt die Besonderheiten des Bodens, des Klimas und der Biodiversität der drei Lagen zum Ausdruck und die Seele jedes einzelnen durch eine traditionelle Vinifikation mit besonderem Augenmerk auf der Integrität der Trauben. Ein Konzept, nach dem auch der historische Keller renoviert wurde, der zu Recht „La Casa del Pinot Nero“ („das Pinot Nero-Haus“) genannt wird. 

Im Jahr 2019 begann die schöne Jahreszeit mit wechselhaftem Wetter und ab Mitte Juni war aber ein Temperaturanstieg mit sehr begrenzten Niederschlägen zu verzeichnen. Dank der gebietstypischen Temperaturschwankungen waren Eleganz und Aroma garantiert. Die leicht verfrühte Ernte brachte absolut gesunde Trauben in den Keller, angefangen mit dem Pernice, gelesen am 17. August, Tavernetto am 19. August und Bertone am 3. September.

Pernice präsentiert sich im Glas reich und komplex, was auf ein großes Alterungspotential hindeutet. Bertone ist eine Kombination aus Eleganz und Frische mit Aromen von kleinen roten Beeren. Tavernetto bietet ein intensives Bouquet von Brombeeren mit einer dichten, aber gut integrierten Tanninstruktur.
Pernice, Bertone und Tavernetto Jahrgang 2019 wurden mit einer Auflage von einigen tausend Flaschen erzeugt und sind jetzt in den besten Vinotheken zu finden.

Das Weingut Conte Vistarino in Kürze

Conte Vistarino ist eines der historischen Landgüter im Oltrepò Pavese. Zum Besitz gehören über 800 Hektar Land, darunter mehr als 200 Hektar Weinberge. Pinot Nero, Mitte des 19. Jahrhunderts von Conte Augusto Giorgi di Vistarino aus Frankreich in das Gebiet gebracht, ist die Hauptrebsorte und wird zu verschiedenen Weinen vinifiziert. Schaumweine stellen einen wichtigen Teil des Sortiments dar, darunter der Metodo Classico 1865, der Rosé Saignée della Rocca und der Brut Cépage. Pernice, Bertone und Tavernetto sind die Spitzen-Crus, wohingegen Costa del Nero die Weinberge horizontal interpretiert und das Aushängeschild des Sortiments ist. Seit 2018 nehmen die Weine im neuen Keller Gestalt an, der aus einer radikalen Renovierung der alten Hofstruktur aus dem Jahr 1904 hervorgegangen ist. Das Herzstück des Unternehmens ist die historische Villa Fornace, auch heute noch der private Wohnsitz der Familie.

Foto unten: Steffen Maus mit Ottavia Giorgi di Vistarino auf der Prowein