Bertani Amarone - Aus Versehen großartig!

Weinguts-Chef Andrea Lonardi zeigt reifere Jahrgänge seines Amarone classico

„Bertani folgt nicht den Trends, Primitivo-Fans sind hier in der Verkostung falsch.“ Mit dieser deutlichen Klarstellung leitete der ansonsten sehr verbindlich-freundliche Chef des Traditionsweinguts, Andrea Lonardi, die Amarone-Vertikale in der Münchner Weinhandlung Garibaldi ein. Es war, so vorweg das Fazit, ein großartiges Erlebnis, diese gereiften Weine zu probieren, von denen der älteste aus dem Jahrgang 1967 stammte! 

Bertani und Amarone, das sind zwei eng ineinander verwobene Geschichten

Das Weingut, 1857 von den Brüdern Giovan Battista und Gaetano Bertani in Quinto di Valpantena nördlich von Verona gegründet, war einer der ersten italienischen Betriebe, die auf Flaschenabfüllung setzten, die Arbeit im Weinberg modernisierten und überhaupt manches ein bisschen besser machten als üblich. Gaetano hatte in Frankreich bei Professor Guyot eine Ausbildung genossen. Bald galt das Weingut aufgrund seines neuartigen Reberziehungssystems – „Guyot-Erziehung“ – als wegweisend. Ein illustrer Höhepunkt in der Historie des Weinguts: Bei der Krönung des englischen Königs George VI. im Jahr 1937 reichte man zum Festmenü Soave von Bertani. 

Mitte des 20. Jahrhunderts erwarben die Bertanis die Tenuta Novare im Valpolicella-Classico-Gebiet – für das Weingut der Moment, in dem die Geschichte des Amarone beginnt. Bei Ernesto Barbero, der viele Jahre als Kellermeister bei Bertani tätig war, hört sich das so an: „1959 hatte Cavalier Guglielmo Bertani mich gerufen, weil bei einigen Fässern die Gärung durchgegangen war und die Weine zu trocken waren. Ich sollte das wieder in Ordnung bringen. Als ich aber die vermeintlich fehlerhaften Weine probierte, gefielen sie mir immer besser. Nach langer Reifung im Fass füllten wir ein paar Flaschen ab. Danach konnte ich Cavalier Bertani davon überzeugen, systematisch mit der Amarone-Produktion zu beginnen. Der Amarone Bertani war geboren.“

Nun, das muss man jetzt nicht hundertprozentig so glauben, denn andere Quellen berichten von einem früheren Start des konzentrierten, trockenen Rotweins: Die Cantina sociale Valpolicella Negrar mit ihrer Marke Domini Veneti will bereits gut zwanzig Jahre früher – ebenfalls aus Versehen – statt des süßen Recioto einen trocken, durchgegorenen, intensiven Wein erzeugt haben und bei der Gelegenheit ganz spontan auch gleich die dann bleibende Bezeichnung "Amarone" erfunden haben. Gaetano Dall’Ora, Präsident der Genossenschaft, soll nämlich, hingerissen von den üppigen Aromen des „fehlerhaften“ Weins, ausgerufen haben: „Das ist kein Amaro („Bitter), sondern ein Amarone („großer Bitter“). Aber letztlich sind das alles nur nette Geschichten, und wie dem auch sei, Amarone Bertani kann auf eine immerhin sechzigjährige Amarone-Geschichte zurückblicken. Am Ende behält recht, wer guten Wein erzeugt – und da punktet Bertani. 

Sortimentsbreite der Weine Venetiens

Bevor es an die kraftvollen Roten ging, beeindruckte in der Münchner Verkostung der 2017er Soave, der eine Woche Maischegärung sowie einen einjährigen Aufenthalt im Zementbottich hinter sich gebracht hat, mit beinahe rieslingartiger Frische und Pfirsicharomen. „Rhein-Style-Soave“ nennen sie das, und es mundet ganz vorzüglich. Mit den roten „Secco Verona IGT“ aus den Jahren 2016 und 2015, die neben achtzig Prozent Corvina auch ein wenig Sangiovese, Syrah und Cabernet Sauvignon enthalten, haben wir es bereits mit zwei schön strukturierten Weinen zu tun. Der 2015er ist elegant, wirkt offen und rund. Er mutet trotz seines Restzuckergehalts von kaum einem Gramm zart süß an. Strenger und fester hingegen der 2016er, der sich in den nächsten Jahren allerdings als der interessantere erweisen könnte.

Weitere drei Mal gibt es 2016 zu kosten, diesmal ausschließlich aus den für die Region typischen Reben Corvina, Corvinone und Rondinella: Valpolicella Ripasso, Catullo Ripasso sowie Amarone della Valpantena. Der Valpolicella Ripasso lockt mit schöner Frucht und Blütenduft, der Catullo wirkt dunkler und ernster; sie verhalten sich zueinander wie Wiese und Wald. Der Valpolicella trinkt sich angenehm, einfach so; der Catullo verlangt hingegen unbedingt nach Essensbegleitung. Ein hübsches Stück Fleisch wäre willkommen! Dörrpflaumen- und Butterscotch-Noten zeigt der Amarone della Valpantena - ein dichter Wein, der trotz seiner gerade mal 0,5 Prozent Restzucker fast süß anmutet. Andrea Lonardi führt das auf langes Hefelager und wiederholtes Aufrühren des Satzes („Batonnage“) zurück. 

Amarone Classico von Bertani

Aber jetzt, endlich, der aktuelle Jahrgang des Amarone della Valpolicella Classico wird eingeschenkt: 2010! Bertani gönnt seinen Flaggschiff-Weinen reichlich Zeit, sich zu entwickeln. Acht Jahre reift ein Amarone Classico im großen Holzfass, ein weiteres in der Flasche, bevor er das Weingut verlässt. So präsentiert sich denn auch der 2010er bereits gut entwickelt und schön ausgewogen, mit feinen Pflaumen und Kirschnoten. 

Der 2009 zeigt sich zunächst verschlossen, gibt nur zögernd Noten von Orangenschale, Blüten und roten Früchten preis. Tannin und Säure sind präsent; der Wein ist dicht, aber eher fein als opulent. Das gilt für die Bertani-Amarone insgesamt. Es sind keine plüschigen Gaumenschmeichler, sondern bei aller Kraft elegante und tiefgründige Weine. Es folgt 2001, eine grandiose Kombination aus fleischiger Fülle und vielschichtiger Aromatik: Pflaume, Kirsche, Sauerkirsche, Teeblätter, Früchte und Gewürze... Ein Amarone, wie man ihn sich nur wünschen kann!

Der Jahrgang 1981 bietet am wenigsten Überraschung. Er ist fast vierzig Jahre alt und lässt sich sein Alter auch anmerken. Noch lebt er, aber unverkennbar hat er seinen Zenit überschritten. Zu den fleischigen Noten gesellen sich schon die leichten Liebstöckel- und Pilznoten, die vom Niedergang künden. Andrea Lonardi wirbt für den Wein, meint, er würde sich gut zu gegrillten Garnelen machen. Mag sein, aber für deutlich über 500 Euro für die Flasche fänden sich da wohl verlockendere Alternativen. 

Ein Knaller hingegen der Jahrgang 1967. Im Vergleich zum 1981er wirkt er jugendlich-frisch und äußerst lebendig. Schöne Thymian- und Trockenfruchtnoten. Nicht unähnlich dem 2001er, nur dass er natürlich inzwischen um einiges filigraner und zarter geworden ist. So schön kann Reife sein!!!

35 Jahrgänge hat Bertani aktuell noch im Angebot, beginnend bei ca. 90 Euro für den jüngsten bis zu knapp unter 1000 Euro für den wunderbaren 1967er. 

Kommentar von Steffen Maus zum Foto oben: Bertani - Ikone in bestem Wortsinne

Ein Rückblick - Ich erinnere mich sehr gut an die Vertikale in der Villa Novare vor mehr als 10 Jahren (2008)! Damals durfte ich und einige ausgewählte Journalisten den legendären Amarone von Bertani in einer spektakulären Vertikale verkosten, die beim Jahrgang 2001 begann und bis zu Weinen reichte, die älter waren als ich (ein 68er). Mit 1959 und 1967 im Glas! So was interessiert im schnelllebigen wie preis- und punkteorientierten Weinmarkt heute nur wenige, oder irre ich etwa? Wer als Amarone-Liebhaber noch keinen Bertani probiert bzw. m Keller liegen hat, dem fehlt - bei aller Demut für die vielen guten Erzeuger im Valpolicella - und bei aller Anerkennung für Ihre Erfahrung als Weintrinker - ein wichtiger Teil der Weltanschauung des Amarone. 

Die Ironie der Geschichte 

In den Neunziger Jahren und dem ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts wurde oft das Bewährte kritisiert, der Weinstil als zu zurückhaltend beschrieben: "… ihm fehle die kraftstrotzende Muskelmasse, die süßen Aromen, der markante Barriqueeinsatz…". So konnte er manch Weinführern nicht wirklich gefallen. In den letzten 10 Jahren, spürbarer noch die letzten 5 Jahre, hat sich der Wind nun überdeutlich gedreht, sehen viele im Stile Bertani den Amarone der Zukunft, wie mir einige Winzer in Gesprächen freimütig bestätigten. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie. 
Etliche Winzer, die ich jedes Jahr beim Anteprima Amarone in Verona verkoste - auch diejenigen, die in den Neunzigern die Höchstpunkte mit den eben erwähnten „Extraktbomben“-Weinen erzielten -, suchen heute im Amarone den finessenreichen und leichtfüssigen Typ. Sozusagen einen zähen Weltklasseringer im Mittelgewicht, der sein Durchsetzungsvermögen und Kraft zu dosieren weiss. Selbstredend bei aller Konzentration und Dichte, den ein Wein mit 15-16 Vol% Alkohol mitbringen sollte! Genau dies alles, was Bertani schon immer gemacht hat.
Und noch eine Entwicklung spielt dem großen Bewahrer und Ikone des Amarone in die Karten:  die Winzer bringen ihren Amarone Jahr für Jahr später auf den Markt, um ihn im Keller die Zeit zu geben, damit er auch viele Jahre oder Jahrzehnte (wie im Falle von Bertani) im Glas Freude machen kann. Denn Amarone zählt neben dem Barolo zu den langlebigsten Weinen Italiens; da kommt ein Brunello oder ein Chianti Classico nur selten mit. Der aktuelle Jahrgang ist der 2010er Amarone bei Bertani, der damit riesige Summen im Keller liegen hat, die andere schon kassiert haben. Deshalb ist der Bertani auch ein Amarone, der seinen Preis hat, unabhängig von den Punkten und Spekulationen. 

Übrigens: die Villa Novare, ein Wahrzeichen des Valpolicella, hat die Familie Bertani behalten, dagegen die Weinberge im Valpolicella Classico und die Kellerei in Grezzana im Valpantena an die Familie Angelini verkauft, die für den lang ersehnten frischen Wind gesorgt hat (auch im Sinne von Investitionen). Der technische Direktor Andrea Lonardi hat in diesen Jahren behutsam die lange Geschichte und den Weinstil weiter geformt und eher begleitet. Denn Bertani ist Bertani; das hängt nicht an einzelnen Personen, sondern ist der Fortbestand der mehr als 160 Jahre Geschichte.