Die Kolumne von Alexander Magrutsch aus Wien

Was ist für ihn der Chianti Classico heute?

„Klassisch“, „elegant“, „Großer Jahrgang“ war bei der 30. Präsentation der neuen Jahrgänge des Chianti Classico in Florenz oftmals zu hören. Entgegen dem Motto „Wer nichts weiß, muss alles glauben“ hat sich Alexander Magrutsch zwei Tage lang durch das Angebot von 750 Etiketten - und den Weinen dahinter - gearbeitet und sieht die Jahrgänge 2019-2021 etwas differenzierter, als sie vom Consorzio Vino Chianti Classico proklamiert werden.
Das Streben nach der besten Performance und höchster Perfektion ist Triebfeder für die meisten. Das gilt auch für viele Weingutsbesitzer. Perfektion eingebettet in der Tradition, die durch Lernprozesse eine stetige Weiterentwicklung erfährt, bedeutet Fortschritt. Was bedeutet das beim Chianti Classico? Die Geschichte lehrt uns, was den Chianti Classico und auch generell der Chianti, dessen Anbaugebiet ein Vielfaches des historischen Kerngebietes ausmacht: Er war und ist ein fruchtbetonter Wein mit harmonischem Tannin und angenehmer Säure bei ausreichend Körper. Ein Wein, den man zu jeder Zeit kredenzen kann. Die sympathischste Beschreibung hörte ich vor vielen Jahren vom Vater von Sophie Conte vom Weingut Tregole: „Der Chianti (Classico) ist ein fröhlicher Wein.“

Fröhlicher Wein mit dem Anspruch von Größe

Die größten geschmacklichen Unterschiede von Chianti Classico zu den „Prestige-Kategorien“ Chianti Classico Riserva und Chianti Classico Gran Selezione sind in der Substanz zu finden. Während die Chianti Classico, im Gebiet selbst oft als „annata“ (Jahrgang) tituliert, vielfach köstliche und animierende Weine darstellen, bieten die Riserva-Weine oft deutlich mehr Volumen. Das bedeutet nicht automatisch, dass die Weine feiner oder eleganter sind, aber das Mehr an Substanz suggeriert mehr reife Frucht am Gaumen und eine längere Reifespanne in der Flasche. Zusätzlich kann es Unterschiede bei den Einzellagen, Böden und dem Alter der Reben geben. Dies ist die Überleitung zum Konzept der Gran Selezione, die - alles in allem – auch aus internationaler Sicht ein großer Herkunftswein sein soll. In Zukunft soll dieser Ansatz noch stärker betont werden und der Anteil an Sangiovese in der Gran Selezione auf 90% angehoben werden. 
Es hat ein paar Jahre gedauert, bis die Gran Selezione auf breiterer Front Akzeptanz bei Konsumenten wie Produzenten gefunden hat. 2014 wurde die Gran Selezione mit 33 Weinen von ebenso vielen Weingütern aus der Taufe gehoben. Aktuell haben 164 Betriebe eine oder mehrere Gran Selezione im Sortiment. Der sehr gute Jahrgang 2019 hilft bei der Erreichung der hoch gesteckten Ziele und im Fazit zeigt der fröhliche Wein aus der Toskana durchaus Größe.

Die aktuellen Jahrgänge

Das Kernstück der Präsentation bildeten die Jahrgänge 2019-2021. 2019 ist mittlerweile der am besten bekannte Jahrgang, dessen sehr gute Meriten von den neu präsentierten Gran Selezione – Weinen bestätigt wird. 2020 sehe ich deutlich differenzierter, als dies vom Konsortium dargestellt wird. Giovanni Manetti von Fontodi und gleichzeitig Präsident des Konsortiums, spricht gar von einem „outstanding vintage“. Nach rund 40 verkosteten Weinen der Kategorien Chianti Classico und Riserva notierte ich mir „trockenes Tannin, hohe Säure, schlank“. Ich habe eine Vorliebe für feine Weine, breitschultrige und mächtige Weine sind nicht meine Sache, aber einen großen Jahrgang konnte ich noch nicht herausschmecken. Gute Jahre und Weine waren bei früheren Jahrgängen wie 2001, 2004, 2006 etc. in der Jugend schon viel eindeutiger zu erschmecken. Da hat mir der jüngste Jahrgang im Bunde, 2021, schon besser gefallen. Hier ist durchaus etwas von der vielzitierten Feinheit im Verbund mit der Fröhlichkeit des Chianti Classico zu spüren. Die Präsentation im nächsten Jahr mit noch mehr Chianti Classico und den ersten Riserva-Weinen von 2021 wird weiteren Aufschluss zur Einschätzung des Jahrgangs liefern. 

Neue Namen und alte Bekannte – Tipps von Alexander Magrutsch

Erwartungen werden manchmal übererfüllt, manchmal werden sie enttäuscht. Das trifft nicht nur auf hochgelobte Jahrgänge zu, sondern auch auf manches Weingut zu, das einen deutlichen Wandel bei der Weingartenbearbeitung und/oder bei der Vinifikation vollzogen hat. Beste Beispiele dafür sind aus meiner Sicht die Weingüter Fontodi mit der Hinwendung zum biodynamischen Weinbau und das Castello di Fonterutoli. Zwei sehr namhafte Weingüter, deren Weine ich seit den späten 1980ern verfolge. Während mich die Weine von Fontodi seit kurzem mit krautigen Aromen mehr verstören, als - wie sonst üblich - zu verzücken, sind die Gran Selezione von Fonterutoli wirklich gut geraten und die Zeiten der technischen, holzbeladenen und seelenlosen Weine überwunden.

Bindi Sergardi
Bereits 2022 von Steffen Maus empfohlen, schließe ich mich hier gerne an, zumal ich die Weine seit dem Jahrgang 2007 kenne. Mein Tipp für einen Klassiker, der dem fröhlichen Charakter eines Chianti Classico so gut wie jedes Jahr entspricht: Chianti Classico La Ghirlanda. Auch die Riserva Calidonia spielt im Konzert der besten Weine regelmäßig mit.

Brancaia
Seit vielen Jahren bekannt und gut, wird hier bei den Chianti Classico ein Kompromiss aus Tradition und Moderne gefahren, wobei die Holznoten meist angenehm begleiten. Aktuell sind Chianti Classico 2021, die Riserva und Gran Selezione von 2020 mehr als nur einen Schluck wert.

Castellare in Castellina
War in den 1980ern eines der Vorzeigeweingüter und ist dann qualitativ in der Versenkung verschwunden. Jetzt können die Weine mit ihrer Finesse wieder entzücken, wie die Riserva von 2019 und die Annata von 2021 beweisen.

Castello di Volpaia
Ebenfalls fast schon ein Evergreen und für Freunde der feingliedrigen Chianti Classico. Beim Coltassala Gran Selezione ist im Gegensatz zu den Chianti Classico immer ein spürbares Maß an neuem Holz dabei. 

Castello di Fonterutoli
Nach vielen Jahren der eher seelenlosen und matt erscheinenden Weine war dieses Jahr das Gut der Familie Mazzei eine der positiven Überraschungen. Vor allem mit den drei (!) Gran Selezione von 2020 befinden sie sich wieder auf der Überholspur. 

Colle Bereto
Bernardo Bianchi leitet dieses familiäre Gut in Radda, das in Florenz auch eine bekannte Weinbar neben dem Palazzo Strozzi betreibt. Die immer feinen Weine erschließen sich einem nicht gleich auf den ersten Schluck. Der Ausbau in neuen und gebrauchten kleineren Fasseinheiten trägt vielleicht neben den Böden dazu bei. Ein wenig Reife, Zeit und Luft tun diesen geschliffenen und kräftigen Weinen immer gut. Großartig und sehr fein ist die 2019 Gran Selezione, auch die Riserva und Annata sind immer einen Kauf wert.

Felsina
Ebenfalls eines der legendären Weingüter, die bei der Auferstehung der Toskana in den 1980ern in aller Munde war. In den vergangenen Jahren schwankte die Qualität etwas, der gute Eindruck überwog dieses Jahr. Speziell die 2019 Gran Selezione Colonia und die Annata von 2021 sind ausgezeichnet und zeigen den Bezug zu den Böden.

Istine
Angela Fronti zählt seit wenigen Jahren mit ihren eleganten (Lagen-)Weinen zu den Aufsteigern der Region. Die Weine sind konturiert und klar, die Böden und die Frucht spielen im Gleichklang.

Montemaggio
Die kühlere Höhenlage über 650m und die Schieferböden sind speziell in frühreiferen Jahren ein Vorteil, weil die Trauben mehr Zeit zur Reife und Aromenbildung haben. Entsprechend lange benötigen auch die mineralisch-feinen Weine zur Entwicklung, weshalb Weingutsleiterin Ilaria Anichini speziell die Riserva und Gran Selezione erst mit ein paar Jahren Verspätung am Markt platziert. Aktuell sind jetzt die köstlichen 2015er. Wer noch etwas von der großartigen Riserva 2006 im Keller hat, ist ein Glückspilz.

Nittardi
Familie Femfert-Canali zählt ebenfalls zu den Pionieren der 1980er Jahre mit beständig guten Weinen. Die Riserva von 2019 ist großartig und ein echter Terroirwein. Der Classico 2020 mit seiner fleischigen Ader wirkt sehr animierend.

Podere Il Palazzino
Dieses Weingut feiert nach mehreren Jahren mit mittelmäßigen Weinen eine kleine Auferstehung. Argenina 2018 und Grosso Senese 2016 sind sehr fein und knüpfen an die Erfolge aus den 1990er und 2000ern an. 

Pomona
Klein und fein ist das Bio-Weingut der Veterinärmedizinerin Monica Raspi südlich von Fonterutoli. Die Weine sind stets charmant, mit animierender Kirschfrucht, satt und fein. Konnten mich früher die Chianti Classico mehr überzeugen, lag in den vergangenen Jahren auch die Riserva - wie aktuell die von 2019 - gleichauf in der Gunst.

Rocca di Montegrossi
Barone Marco Ricasoli Firidolfi ist der Garant für wunderbaren, fröhlichen Chianti Classico und köstlich-herzhaftes Olivenöl, wie auch für den raren Vin Santo. Jedes Jahr bei meinen Favoriten und eine sichere Bank ist der Chianti Classico. Die Gran Selezione Vigneto San Marcellino ist deutlich  kraftvoller, wird im Barrique ausgebaut und spricht Liebhaber dieses Stils an.

Tregole
Mit dem Weingut Tregole – einem ehemaligen Weiler auf dem Boden einer Etruskersiedlung - ist 2023 ein Kleinod wieder bei der Präsentation dabei gewesen, das ich lange Jahre vermisst habe. Dafür ist die Serie umso beeindruckender. Sowohl die Gran Selezione Vigna degli Asini 2018, die Riserva 2019 und die Annata 2020 spielen alle Stückerl, die ein Sangiovese bieten kann. Frucht, Finesse, innere Dichte und Spannung gepaart mit Charme – das kann entzücken.