Barolo ist nicht alles, sagt der Weinreisende Herbert Heil

Hintergrund und  Meinung einer erfahrenen Weinnase

Am Anfang steht die gut erzählte Weingeschichte: Vor 40 Jahren war Piemont noch eine verschlafene, bäuerlich geprägte Bergregion. Selbst die heute so begehrten Trüffeln aus Alba interessierten damals kaum jemanden. Die süßen Asti Spumante und Moscato d’Asti waren die ersten Exportschlager, die Weinliebhaber im ganzen Land und vor allem auch in Deutschland begeisterten.
Nach der süßen Welle schwappten die trockenen Weißweine über die Grenzen. Gavi hießen sie, benannt nach dem Ort im Südost-Piemont aus Cortese-Trauben, später dann auch Arneis aus dem Roero-Gebiet, trockenfruchtige Tropfen mit moderater Säure.
Ja, lang ist’s her. Barolo heißt heute das Zauberwort. Der mächtige Rotwein aus der Nebbiolo-Traube, die zu den cepage nobles, den edlen Rebsorten gehört (ebenso wie Pinot Noir, Cabernet Sauvignon, Merlot) ist längst zur Weinikone geworden. Elf Ortschaften dürfen laut Gesetz ihren Nebbiolo als Barolo vermarkten. Barolo und sein „kleiner Bruder“ Barbaresco sind heute weltbekannt und weltweit gefragt, Spitzenbetriebe in der Regel ausverkauft. Das war nicht immer so, denn noch in den 1970er-Jahren waren die meisten Weinbauern nur Traubenerzeuger. Zudem war Barolo insgesamt nicht sehr gefragt. Häufig wurde bei einer Bestellung von zehn Kisten Dolcetto eine Kiste Barolo kostenlos hinzugegeben. Heutzutage undenkbar! Bezüglich Anbaufläche belegt das Piemont 55 000 Hektar in Italien zwar nur den 6. Platz, bezüglich Renommee steht es aber mit der Toskana in Italien an der Spitze.

Das Gebiet verfügt über eine lange Weinbautradition. Der nordwestliche Alpenbogen beeinflusst gemeinsam mit dem Apennin das Klima, das den Rebbau in nahezu allen Teilen der Region begünstigt. Zur traditionellen Mischwirtschaft gehörte immer auch Wein, allerdings besaß früher kaum einer der Höfe genügend Mittel oder eine ausreichende Betriebsgröße, die ein rentables Selbstkeltern erlaubt hätte. Die Trauben wurden an Kellereien verkauft, was sich aber aufgrund des gestiegenen Renommees änderte.
Stärken des heutigen Piemonts sind die Vielfalt der Betriebsstrukturen und der Weintypen.
35 Prozent aller Weine der rund 300 Millionen Liter fallen in eine der 52 DOCG- oder DOC-Kategorien; ein Anteil der von keiner anderen italienischen Region übertroffen wird. Vor allem die beiden aus Nebbiolo-Trauben gekelterten Barolo und Barbaresco begründeten den Ruhm des Anbaugebiets. Ihr Aufschwung begann in den 1980er-Jahren. Auf vielen Gütern kam es zu einem Generationenwechsel. Die gut ausgebildeten Jungen begannen, im Weinberg und Keller neue Methoden anzuwenden; damit veränderte sich auch die Stilistik der Weine. Zeitweise kam es zu erbittertem Streit zwischen „Traditionalisten“ und „Modernisten“. Beispielhaft dafür war der Ausbau im Barrique statt im großen Eichenholzfass. Heute herrscht friedliche Koexistenz.

Bedeutende Weinbaugebiete sind Asti, Gavi, Ghemme, Roero und die qualitativ als beste Lagen geltenden Hügel von Monferrato und Langhe bei Alba. Weitere wichtige Varietäten sind Bonarda, Brachetto, Dolcetto, Freisa, Grignolino. Bei den Weißweinsorten dominieren Arneis, Cortese, Erbaluce und Moscato bianco. Sie werden meist reinsortig abgefülllt.

Barbaresco lieber als Barolo, verrückt!

Heute wird der Name Barbaresco oft mit Barolo in einem Atemzug genannt, aber der Barolo war schon bekannt, ehe der Önologe Domizio Cavazza, Direktor der Weinbauschule in Alba, 1894 begann, Nebbiolo aus Barbaresco zu einem trockenen Rotwein auszubauen. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts konnte sich der Barbaresco seine Nische neben dem großen Nachbarn erobern.  
Der Barbaresco-Wein, seit 1980 DOCG, stammt aus einem kleinen Anbaugebiet rund um die gleichnamige Gemeinde. Mit einem Jahr weniger Lagerzeit als der Barolo, mehr Geschmeidigkeit und Fruchtigkeit kombiniert er Eleganz mit Trinkigkeit. Das Gebiet des Barbaresco besitzt mit den kalkhaltigen Mergelböden mehr Kupfer und Zink als die eher manganhaltigen Böden des Barolo-Gebietes, was natürlich zu einem anderen Aromenspektrum führt.

Auch die einzelnen Zonen der vier Gemeinden des Barbaresco weisen zum Teil große Unterschiede auf: Die Weine aus Neive im Osten der Zone ähneln manchmal den Barolos, haben Tannin und Festigkeit, oft werden sie als Riserva-Qualitäten ausgebaut. Andere – speziell aus hohen Lagen – zeichnen sich durch ihre große Eleganz aus. Barbaresco muss aus einer der vier Gemeinden Barbaresco, Neive, Treiso oder San Rocco Seno d’Elvio stammen.

Der berühmteste Wein des Anbaugebietes Barolo heißt ebenso wie die zentrale Gemeinde Barolo. Grundsätzlich muss das Traubengut für den Barolo aus einer der 11 Barolo-Gemeinden stammen. Die besten Einzellagen für Barolo, auf deren Hügelketten sich die Namenschilder der großen Winzer eindrucksvoll aneinanderreihen, wenn man den schmalen Strassen folgt, liegen im Umkreis der fünf Gemeinden des alten Kerngebietes: La Morra, Monforte d'Alba, Barolo, Castiglione Falletto und Serralunga d'Alba.

Barbera: Der Wein des Volkes

Doch das Piemont ist nicht allein auf Barolo und Barbaresco beschränkt. Das Land hat noch viel mehr zu bieten: etwa hervorragenden Barbera. Neben Sangiovese und Montepulciano gehört die Barbera-Rebe in Italien zu den am häufigsten angebauten roten Rebsorten. Die Wahlheimat der Barbera ist der Hügelgürtel des südlichen Piemonts, zwischen der Po-Ebene im Norden und den Bergen des Apennin im Süden. Die Traube bevorzugt warme und sonnige Ausrichtungen und Böden, die kalkreich und feinkörnig sind, Schlick und Lehm aufweisen und reich an Karbonaten sind.
Die bekanntesten Barbera-Weine im Piemont sind der Barbera d’Alba, der Barbera d’Asti und der Barbera del Monferrato.
Der Barbera d’Alba zählt zu den Weinen ältesten Ursprungs. Erstmals schriftlich erwähnt wurde er im Jahre 1798. Der intensiv rubinrote Wein ähnelt farblich mitunter der Kleidung der Kardinäle und hat einen weinigen, intensiven Duft. Seine Aromen erinnern an Brombeere, Kirsche, Erdbeere und rote Marmeladenfrüchte. Hinzu können würzige Noten von Zimt, Vanille und grünem Pfeffer kommen. Traditionell handelt es sich beim Barbera d’Alba um einen körper- und säurereichen, äußerst fruchtigen und voluminösen Rotwein, insbesondere jung getrunken. Der Barbera d’Alba fällt dabei etwas voller und kräftiger aus als der schlanker wirkende Barbera d’Asti.
Der Barbera d’Asti ist ein animierender, kühl-dunkelfruchtiger Rotwein mit appetitlich saftiger Säure und zurückhaltend feinem Tannin. Damit unterscheidet er sich von Barolo und Barbaresco, die deutlich kräftigere Gerbstoffe aufweisen.
Barbera-Weine sind bereits in ihrer Jugend trinkreif, können aber auch ohne Probleme einige Jahre gelagert werden. Die fruchtige Frische, gerade der „einfacheren“ Barbera findet, machen diese Weine zu idealen Alltagsweinen, die sich mit einer Vielzahl von Speisen – etwa Pasta und Pizza, aber auch Wild und Fleischgerichten – kombinieren lassen.
Giacomo Bologna war der Prinz, der diese einstmals wenig beachtete Sorte wachküsste. Über Ertragsbegrenzung und Ausbau im kleinen Holzfass machte er aus dem dünnen, säurebetonten Alltagswein einen Spitzenwein, der weltweit Beachtung fand. Heute führen seine Kinder Raffaella und Giuseppe den Betrieb „Braida“ in Rocchetta Tanaro und haben „Bricco dell’Uccel­lone“, „Bricco della Bigotta“ und „Ai Suma“ zu gesuchten Spitzenweinen gemacht.
Die Einheimischen in den Langhe bevorzugen aber oft einen ganz anderen Wein: den Dolcetto aus der gleichnamigen Rebsorte. Er ist keineswegs süß, wie man aufgrund des Namens vermuten könnte, sondern ein trockener Roter, der manchmal auch rustikal ausfallen kann. Dolcetto macht richtig Spaß: als wunderschön fruchtbetonter und unkomplizierter Wein. Ein oft hoher Alkoholgehalt von 14 Prozent ist dabei nicht selten die Regel.

Das Roero-Gebiet gilt es zu entdecken

Der Roero ist eine reizvolle Region westlich des Tanaro-Flusses vor den Toren Albas. Die Weinberge liegen mitunter in Steillagen, die stark an die Mosel erinnern. Weinbau ist hier weit verbreitet, hat aber noch nicht eine solch dominante Rolle wie in den Langhe erreicht. Die Landschaft ist vielfältiger, neben Wein gibt es auch viele Obstplantagen und Gemüsefelder. Berühmt sind die Pfirsiche, die Erdbeeren und Kirschen aus dem Roero. Der wichtigste Rotwein hier heißt genau wie das Gebiet: Roero. Er wird - wie Barolo und Barbaresco - aus Nebbiolo gekeltert. Der Unterschied machen hier die Böden. 
Der Roero lag in der Vorzeit am Rande des Urmeeres, die Böden sind stark mit Sand durchsetzt, und immer wieder treten beim Pflügen versteinerte Muscheln zutage. Diese leichtere Bodenstruktur erbringt damit leichtere, duftigere Weine. Nicht alle Erzeuger stehen bedingungslos zum Roero als Begriff. Manche finden, dass Nebbiolo einfach bekannter ist und vermarkten ihren Wein deshalb als Nebbiolo d’Alba oder Langhe Nebbiolo.

Fazit: Piemont ist angesagt wie nie. Fakt ist aber ebenfalls: die Krise ist auch hier angekommen. Die Nachfrage nach teuren Weinen hat merklich nachgelassen. Vor allem der deutsche Markt ist nicht mehr so stark. Doch allem Krisengerede zum Trotz bauen die Piemonteser Winzer weiter neue Keller, investieren kräftig und pflanzen neue Weinberge. Es lohnt sich nach wie vor, das Piemont vor Ort zu erkunden!