Sassicaia und Ornellaia - Die Kultweinverkostung

Der Faszination auf der Spur, wie schlagen sich die Zweitweine und die Nachbarn?

Nähern wir uns langsam an.... Nicht jeder will und kann und muss sich gleich eine 100 + € Flasche leisten. Deshalb haben die Verantwortlichen der Weingüter in den Neunzigern mit der Einführung eines Zweitweines und sogar Drittweines, wie es in Frankreichs Bordeaux-Adel üblich ist, reagiert. Und die Weine erfüllen ihre Aufgabe mit Bravour, sowohl der Guidalberto, der im Gegensatz zu seinem großen Bruder Sassicaia etwas Merlot enthält, als auch der Rotwein Le Serre Nuove, der in Aromatik und Charakter ein würdiger, kleiner Bruder von Ornellaia ist.

Vom Zweitwein zum Drittwein, oder doch lieber den Zweitwein

Diese Weine sind natürlich mit der Preisklasse von 30 – 40 € schon mehr als Alltagsweine für den Wochentag. So wundert es nicht, dass ein weiterer Unterbau in der Preisliga kleiner als 20 € eingeführt wurde, der die Weinliebhaber im umsatzstärksten Segment abholen soll. Dieses ist beileibe keine leichte Fingerübung für einen Weinmacher. Deshalb sind die Weine zwar stilistisch erkennbar, d.h. aus dem Hause San Guido Sassicaia bzw. Ornellaia, doch in diesem Preisbereich greift ein geneigter Weinliebhaber eher zu einem Zweitwein von Podere Sapaio bzw. dem Grattamacco Rosso. Diese, das weiß der Kenner, bringen den Ausdruck Bolgheri auf jeden Fall in kräftiger und strukturierter Form ins Glas.
Beide Weingüter, der nicht mehr ganz neue Newcomer Sapaio und das Kultweingut Grattamacco unter neuer Führung von Claudio Tipa, dem auch Collemassari in Montecucco und das Brunello-Weingut Poggio di Sotto gehören, sind excellente Betriebe. Und ihre Topweine, der Sapaio bzw. der Grattamacco liegen im Preisbereich von 40 – 50 € deutlich unter den zwei Kultweinen. Solche Weingüter zu finden, ist nicht leicht. Sicher zählen auch das Castello di Bolgheri und einige andere in unserer Weintipp-Liste dazu, auch ohne den neuerlichen Beleg der Verkostung im Rahmen der Ikonen.

Der Marchese Antinori ist auch mit von der Partie

Die Tradition in Bolgheri und eine detaillierte Kenntnis besitzen auch die Verantwortlichen von Marchese Antinori. Dort ist Renzo Cotarella als technischer Direktor seit fast 30 Jahren im Amt und keinem Geringeren gefolgt als Giachomo Tachis. Die Tenuta Guado al Tasso und ihre Weine sprechen die klare Sprache Bolgheris. Jedoch hatten diese in den Achtziger und Neunziger Jahren im Kreis der berühmten Rotweine Tignanello und Solaia aus dem Hause Antinori, die im Chianti erzeugt werden, weniger Entfaltungsmöglichkeiten. Zudem standen die Alltagsweine in Bolgheri lange Jahre im Vordergrund des Weinmachens.
Heute bietet Guado al Tasso seinen Topwein für ca. 90 € an und unterstreicht dabei seine Ambitionen, im Konzert der ganz Großen mitzuspielen. Dabei unterlaufen natürlich keine Fehler.
Für meinen Gaumen war der reinsortige Merlot Conte Ugo für knapp 40 € der überzeugendste Wein der Verkostung aus dem Hause Guado al Tasso. Weniger überzeugen konnte der Il Bruciato, der Zweitwein des Hauses. Dabei spielt es nur eine kleine Rolle, dass 2013 sicher der grünere und säurebetontere Jahrgang war, die Topweine aus 2012 zeigten dagegen alle eine reife Frucht und reife Gerbstoffe. Das Problem war in diesem Jahr, wenn überhaupt, der Hitzestress, der für einen zeitweiligen Stopp der Photosynthese sorgte.

Sassicaia oder Ornellaia? Ich entscheide mich für beide!

Wir verkosten den Jahrgang 2012, doch bevor wir uns nun noch mehr mit den Kultweinen beschäftigen, werfen wir kurz einen Blick auf die Unterschiede im Alkohol: Grattamacco 14%, Guado al Tasso und Ornellaia 14,5%, dagegen hat der Sassicaia einen gewohnt niedrigeren Alkoholanteil von nur 13,5%. Lassen wir die Zahlen mal außen vor, ist das Fazit der Verkostung so eindeutig wie überraschend für mich: Obwohl ich Kultweinen eher skeptisch gegenüberstehe, ist es eine Freude, die beiden, großen Weine, ich nenne sie aus freien Stücken Kultweine, nebeneinander zu probieren. Ganz egal, ob einem der eine oder andere Stil besser gefällt, sie erklären gerade im Vergleich dem Weinliebhaber die Faszination Bolgheri. Dieses Terrain haben sie sich über Jahrzehnte erarbeitet und es ist gut nachzuvollziehen, das auf diesem Niveau, und damit meine ich nicht den Preis, sondern eben die Faszination,  kein anderer so leicht mitspielen kann. Angelo Gaja hat es mit Ca' Marcanda probiert, der Erfolg hält sich in Grenzen, denn es ist meines Erachtens mehr ein Gaja-Wein als ein Bolgheri-Wein. Und in der Euphorie der Neunziger tauchten etliche Weine jenseits der 60 € auf, die dann jäh und kleinlaut die Flügel gestutzt bekamen.

Heute ist Bolgheri ein eigenständiges Gebiet mit seiner Berechtigung für Cab/Merlot-Rotweine mit Struktur und Komplexität, die nach Toskana schmecken und dennoch nicht alle gleich oder schlimmer noch wie Bordeaux-Kopien daherkommen. Für ist beim Weingenuss die Liebe zu Italien und zur Toskana wichtig und die Anbindung des Weinerlebnisses an das Gebiet und seine Geschichte. Anderen ist der individuelle Weincharakter wichtig und sie möchten die größten Rotweine der Welt miteinander vergleichen. Auf beide Arten werden die Weine als beeindruckendes Kunstwerk gewürdigt, und das ist gut so.