Herbert Heil auf Weinreise im Collio

Seine Entdeckungen im Collio und Colli Orientali: Autochthone Sorten und starke Cuvées

Das Friaul, oder um es genau zu sagen, die Region Friaul-Julisch Venetien, ist in vielerlei Hinsicht eine kleine Region in Italien: gerade mal 1,2 Millionen Menschen leben hier und Weinbau findet auf einer vergleichsweise geringen Rebfläche von etwa 20 000 Hektar statt. Mit 1,4 Millionen Hektoliter Wein bringt diese im äußersten Nordosten gelegene Region nur einen geringen Teil der italienischen Weinerzeugung hervor, inzwischen jedoch über sechs Prozent der offiziellen Qualitätsweine des Landes. Und doch ist die Region mit der Hauptstadt Triest, etwa halb so groß wie Schleswig-Holstein, weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Kulinarisch für sensationelle Weißweine, San Daniele Schinken und Montasio-Käse, landschaftlich für ein vielfältiges Spektrum zwischen Meeres- und Bergwelt. Das alles auf kleinstem Raum und ausgesprochen attraktiv verpackt. Das Collio, die Hügellandschaft zieht sich halbmondförmig von den julischen Alpen bis zum adriatischen Meer und grenzt östlich an Slowenien. Auf insgesamt 1500 Hektar wachsen hier Reben. Heute vornehmlich Weiße, obwohl bis Mitte der 1960er Jahre fast ausschließlich Rotwein produziert wurde. Was wir suchen sind Weine mit Charakter und Tiefe, und die finden wir hier reichlich, produziert von Winzern, die ihr Handwerk verstehen. Wir wollen erkunden, was sich tut in der Region. Gibt es neue Trends, Besonderheiten und wie rosig oder auch nicht sieht die Zukunft aus in diesem Teil Wein-Italiens?

Weinwunder in den 1970er Jahren als Grundlage für den heutigen Erfolg

Nun, seit den 1970er Jahren hat sich im Friaul ein wahres „Weinwunder“ ereignet. Vor allem mit Pinot Grigio und Sauvignon haben sich die Winzer einen Namen gemacht. Winzer, die dazu beigetragen haben, sind inzwischen legendär: Silvio Jermann, Livio Felluga, Joško Gravner, Mario Schiopetto, Girolamo Dorigo u. a.. Sie alle machten aus dem rückständigen Gebiet eines der innovativsten Anbaugebiete Italiens, in dem nun die körperreichsten Weißweine des Landes zu finden sind. Und seit einigen Jahren haben sie auch die traditionellen lokalen Sorten wieder entdeckt, den Friulano, den Ribolla giallo, den Malvasia und andere mehr.
Nach einer Durststrecke nahm dann der Weinmarkt im Friaul zwischen 1990 und 2000 wieder mächtig Fahrt auf dank der oben erwähnten etablierten Winzer. Weiße Sorten  von Pinot Grigio, Sauvignon, Pinot Blanco sowie die autochthonen Sorten standen bei den Weinfans ebenfalls hoch im Kurs wie die roten Sorten Schioppettino, Merlot und Refosco. Dann wurde es wieder etwas ruhiger, vor allem der hohen Preise wegen. Winzer Joško Gravner war der Mann der Stunde. Er ließ sich nicht beirren, hatte neue Ideen und hatte Erfolg mit Barrique-Ausbau, Amphoren und langen Gärzeiten. Er verzichtete auf Schwefel, produzierte naturnah. Die Entwicklungen im Friaul verdeutlichen das große Potenzial der Region und ohne Frage, die Weinqualitäten entsprechen wieder dem Preisniveau.
Tatsächlich sind die Bedingungen für den Weinbau vor allem im östlichen Friaul optimal, denn die dortigen Moränenhügel besitzen wertvolle mineralreiche Böden. Dazu kommen starke Temperaturschwankungen zwischen mediterran-warmen Tagen und alpin-kühlen Nächten, die dafür sorgen, dass - selbst in den Flachlagen der DOC Isonzo und Grave – Weine mit kräftigen Aromen entstehen können. Die Weine aus den geografisch ineinander übergehenden Hügelzonen Collio und Colli Orientali erlangen noch zusätzlich Struktur und Komplexität. Beide Regionen sind Schwerpunkte unserer Reise. Denn hier ist die Entwicklung neuer Weißweinstile besonders spannend. Mit im Barrique ausgebauten Cuvées versuchen viele Weinmacher, aus den alten Weinbergen mit Friulano, Ribolla gialla oder Picolit „Super Whites“ zu erzeugen, man könnte sie auch Terroirweine all’ italiana nennen.

Starke Cuvées und tolle Rebsortenweine

Jedenfalls heißt das große Thema derzeit: Harmonie durch Verschnitt. Ein gutes Beispiel für einen solchen Wein ist der „Molamatta“ Collio Bianco DOC von Marco Felluga. Eine Cuvée auf der Basis von Pinot bianco mit Friulano und Ribolla gialla als Juniorpartner. Ebenfalls traumhaft gut ist der „Ronc di Rosazzo“ Colli Orientali del Friuli von Ronchi di Manzano, der rund um die Abtei von Rosazzo in Steillagen wächst. Er vereint die Sorten Sauvignon, Chardonnay, Friuli und Picolit in ausgesprochen harmonischer Weise.
Heute sind insgesamt acht DOC-Zonen in der kleinen Region ausgewiesen: Annia, Aquileia, Carso (inklusive Görzer Karst), Collio, Colli Orientali, Grave (das flächenmäßig größte Anbaugebiet), Isonzo und Latisana. Mit Abstand am wertvollsten ist jedoch die Erde in den Colli Orientali del Friuli südöstlich von Udine und im Collio, dem Hügelland an der slowenischen Grenze. Sie wird hier „Ponca“ genannt. Es handelt sich dabei um „Flysch“, eine Mischung aus Mergel- und Sandsteinschichten, die im Eozän durch Meeresablagerungen entstanden sind (man findet auch Fossilien) und Kalk, Kaliumcarbonat und Phosphor enthalten. Die charaktervollsten und komplexesten Weine des Friaul entstehen hier aus den Rebsorten (Tocai) Friulano, Ribolla gialla (mit dem charakteristischen feinen Limonenduft), Picolit (für Dessertweine), Refosco, Verduzzo (der Trauben für eher einfache Weine liefert) und Ramandolo, fast ausschließlich sind sie weiß. Neue Unterzonen (Sottozone) sind zu den acht bestehenden DOC-Zonen dazugekommen. Die DOCG-Gebiete im Friaul heißen Colli Orientali del Friuli Picolit, Lison, Ramandolo, Rosazzo. Der Trend zur DOC-Prosecco-Produktion hält ebenso an wie der Hang der Winzer zu Frizzante und Spumante. Nicht zuletzt auch deshalb, weil eine große Kundennachfrage vorhanden ist. 

Etwas Rotwein gefällig? Ab in die angrenzenden Colli Orientali

In exponierten Lagen – und wirklich nur dort – gedeihen aber auch rote Sorten hervorragend, von den autochthonen Schiopettino, Pignolo, Refosco dal Peduncolo Rosso bis hin zu Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc und Merlot. Vorausgesetzt, die Erträge werden niedrig gehalten und die Weinberge sind optimal zur Sonne hin ausgerichtet. Es gibt also auch hervorragende Rotweine aus den Friuli Collio Orientali, die mit feiner Würze, kühlen Aromen und knackigen Tanninen besonders zu Wild- und Pilzgerichten eine bella figura machen. Einer der bis heute ausschließlich auf Rotwein setzt ist Michele Moschioni im Weindorf Cividale del Friuli. Moschioni hat immer schon an das Potenzial des Colli Orientali für den Anbau von Roten geglaubt. Seine Rebstöcke sind bis zu 50 Jahre alt und ergeben Weine von großer Aromatik mit mächtigen Tanninen. Jedenfalls sind sein Schioppetino Riserva und sein Pignolo Riserva Weine von besonderer Güte und langlebig obendrein. Moschioni besitzt 14 Hektar Reben und produziert 38 000 Flaschen Wein. 

Überhaupt: Einheimische Sorten sind weiterhin sehr gefragt. Denn obgleich Sauvignon blanc, Chardonnay & Co boomen wie überall in Italien, hegt man hier immer auch noch die unzähligen uralten regionalen Rebsorten. Den Verduzzo etwa, den fruchtigen Friulano sowieso. Velneo Livon vom Weingut Livon sagt: „Kein anderer autochthoner Wein kann sich im Collio so ausdrücken, wie der Friulano.“ Der Friulano überzeugt durch sein ausgeprägtes dichtes Bouquet. Es erinnert an Mandeln, Birnen und Wiesenblumen, dabei duftet der Wein auch angenehm würzig. Im Geschmack zeigt er Rasse und überzeugt mit feinen fruchtigen Noten, die im Abgang von mandeligen Tönen begleitet werden. Er fasziniert dadurch, dass er jegliche Zurschaustellung ablehnt. Ein absoluter Wein, ein Wein, der sein Versprechen hält. Ausgeprägte Mineralität mit starkem Ausdruck von Boden und Klima. Bei den Roten hat der wilde Refosco oder der wuchtige Schioppettino, um nur die bekannteren zu nennen, ihre Fangemeinde. Der Schioppettino präsentiert sich mit einem Potpourri aus Gewürzen, Tabak, Leder und Kräutern. Im Mund ist er weich. 

Und diese Weine serviert man im Friaul nicht nur in gestylten Designerkellereien und Weinbars, die trinkt man durchaus auch in bescheidenen Weinschänken. Etwa in der Trattoria Al Cjant dal Rusignul in Mernico. Der Name - lokaler Dialekt, heißt zum Gesang der Nachtigall - spricht ebenfalls für einen Besuch. Und dass die Betreiber auch ein eigenes Weingut haben, Ferrucio Scubin, schadet auch nicht. Ein Schluck Friulano wird als Willkommensgruß gereicht. Tocai darf man ja nicht mehr draufschreiben, von wegen Ungarn und der EU. Im Jahr 2007 verfügte der europäische Gerichtshof zugunsten des ungarischen Tokajer, um eine Verwechslung zu vermeiden. Ein Irrsinn, denn der Tokajer ist bekanntlich ein Süßwein, der aus der Furmint-Traube gemacht wird. Jedenfalls verlor der italienische Tocai seinen Namen und heißt seitdem schlicht Friulano. Aber das steht nur auf der Flasche, will man im Friaul einen kleinen Aperitif einen „tajut“ trinken, so bestellt man einen Tocai.

Herausforderung Collio Bianco

Neben den reinsortig vinifizierten Weißweinen gibt es die Königsdisziplin, den Collio Bianco DOC. Dieser Weißwein, der laut Vorschriften mehrere Rebsorten aber auch nur eine einzige enthalten darf, ist sozusagen das Flaggschiff unter den Weißen. Dabei ist vor allem der Sauvignon blanc ein wunderbarer Partner. Marco Simonit von den weltweit agierenden Rebschnitt-Spezialisten Simonit & Sirch ist sich sicher und unterstreicht vehement: „Als einzige internationale Rebsorte hat der Sauvignon Blanc die Fähigkeit sich im Collio bestens zu entfalten und der Cuvée den nötigen Nerv zu geben, um daraus einen großen und langlebigen Wein zu machen.“ Man muss Simonit recht geben. In der Verkostung zeigt der Sauvignon Blanc als einzige internationale Rebsorte eine Komplexität, von der Pinot Blanc, Pinot Grigio und Chardonnay im Collio noch weit entfernt sind. „Modern, aktuell und im Stande, mit den neuen Kommunikationsmethoden Schritt zu halten“, so definiert Präsident Robert Princic die neue Ausrichtung des Konsortiums (Consorzio Tutela Vini Collio). Der Collio will noch geschlossener auftreten und seine Qualitäten über die Landesgrenzen hinaus zeigen. Um die 170 Winzer präsentieren ihre Weine jährlich auf der Vinitaly, ProWein oder London Wine Fair. Seit 2009 haben die Konsortiumsmitglieder eine neue Flasche entwickelt, welche durch eine Gravur am Flaschenkopf und einer gelben Kapsel als uniforme Botschafterin in die Welt reisen soll. Collio ist in großen Lettern am Flaschenkopf zu lesen sein. Der Wiedererkennungswert ist damit garantiert. Und wenn diese in Zukunft nicht nur auf, sondern auch in der Flasche gegeben ist, dann steht der Wiedergeburt des Collio nichts mehr im Wege.

Das schwierige Jahr 2017 ist auch im Collio nicht spurlos an den Weinmachern vorüber gegangen.Verminderte Erträge, frühere Ernte und Schäden wegen Frost und Hagel haben auch den Winzern im Friaul zugesetzt. Dennoch präsentiert sich der Jahrgang 2017 zur Zeit als sehr spannend mit viel Nerv, Salz und Mineralität. 2015 war ein wärmerer Jahrgang, der sich zum Verkostungszeitpunkt fruchtbetont und füllig im Glas zeigt. 2016 schafft den Spagat zwischen 2017 und 2015 und wirkt zur Zeit am ausgewogensten. 2018 konnten die Winzer in Italien aufatmen, denn alle Erzeuger konnten wieder größere Mengen ernten. Doch war, vor allem ab Juli, der italienische Weinbau zweigeteilt. Von Norden bis zur Toskana und den Marken wird es viele hervorragende Weine geben. Südlicher muss man vielleicht etwas länger suchen, um die schönsten Weine im Glas zu haben. Speziell im Piemont aber ist 2018 ein Vergnügen. Ausreichend Regen und ein idealer Herbst zur Ernte erfreute die Winzer.

Die K.u.K-Monarchie und die Kulinarik

Friaul-Julisch-Venetien ist in vielerlei Hinsicht Österreich ähnlicher als Italien, nicht nur kulinarisch. Und dafür wird es vor allem von den Österreichern geliebt. Die K.u.K-Monarchie und die venezianischen Herrscher haben Kultur und Küche über Jahrhunderte geprägt. Manches Bauwerk zeugt noch heute von dieser Epoche, etwa die Habsburger-Villa Miramare am nördlichen Stadtrand von Triest. 
Grenzland Friaul. Wie fern ist Rom, wie nah sind Wien und der Balkan. Goriza, bis 1918 Görz, gehörte über 300 Jahre zur k.u.k.-Monarchie. Walzertakte hört man einmal jährlich beim Wiener Hofball im „Hotel Felcaro“ von Cormons. Cormòns ist das Zentrum der Anbaugebiete Collio und Isonzo, die beide seit langem einen hervorragenden Ruf geniessen. Colli Orientali und Collio sind mit 2100 und 1500 Hektar zwar nicht die größten DOCs, aber doch die mit großem Abstand qualitativ wichtigsten, wobei das Collio – jenseits der slowenischen Grenze sich als Goriska Brda fortsetzen, was genau dasselbe bedeutet, nämlich Görzer Hügelland – unangefochten die Nase vorn hat. In Cormons schmückt eine Statue Kaiser Maximilian I. von Österreich die Piazza. Cividale del Friuli, einst Herzogtum der Langobarden, liegt traumhaft schön am Natisone. Walther von der Vogelweide sang hier im Mittelalter, als Deutsch Amtssprache war, Minnelieder.
Nostalgische Verklärung des Habsburgerreiches findet man nicht nur in Österreich, auch Nachkommen einstiger Untertanen in den Kronländern sind davor nicht gefeit. Die Triestiner etwa sprechen noch gern von der Zeit, als ihre Stadt den bedeutendsten Hafen eines bedeutenden Reiches beherbergt hat. Österreich-Ungarn lag einst am Meer ... Viele Jahrhunderte gehörte das Gebiet zwischen dem nördlichen Isonzotal und Triest zum Habsburgerreich. Die Gegend ist immer ein gemeinsames und gewachsenes Ganzes geblieben, auch wenn es durch die Wirren des „Großen Krieges“ auf Italien und Slowenien ver- und zerteilt wurde. Die Isonzo-Front war eine der blutigsten Schauplätze des „Grande Guerra“ - mit Tausenden von Toten -, wie die Italiener den Ersten Weltkrieg nennen. Zu allem Überfluss bebte dann 1976 auch noch die Erde. Zahlreiche Dörfer versanken in Schutt und Asche, etwa tausend Menschen starben. 
Zurück zum Wein: Die unberührte Natur des Collio und den vernünftigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen schmeckt man in jedem Schluck Wein. Dazu sollte man wissen: Die Weinkarten im Friaul sind in der Regel sehr gut und regional bestückt und für deutsche Verhältnisse günstig kalkuliert. Selbst in gehobenen Restaurants wird für den aktuellen Jahrgang höchstens der doppelte Weingutspreis aufgerufen, oft beträgt der Aufschlag gar nur ein paar Euro. Noch ein Restaurant-Tipp der Extraklasse gefällig? Nur knapp fünfzehn Autominuten sind es von Cormòns zum Restaurant L’Argine a Vencó von Antonia Klugmann, das genau wie die Subida vom Guide Michelin mit einem Stern bedacht wurde. Die Köchin setzt auf lokale Zutaten, die sie zu einem großen Teil aus den hauseigenen Gärten und von den umliegenden Wäldern und Wiesen bezieht. Die gebürtige Triesterin Antonia Klugmann gehört zu den aufsehenerregenden Shootingstars der Gourmetszene Norditaliens.

Wein und Friaul, zwei Begriffe, die im Laufe der Jahrzehnte nichts von ihrer Faszination eingebüßt haben, im Gegenteil. Wir haben vor Ort den Eindruck gewonnen, dass dieser Region noch eine große Zukunft bevorsteht.
Und: Das Collio im Osten Friauls hat immer Saison. Im April haben die Wildkräuter das Sagen, ab Mai hat der Spargel in der Küche der Region seinen großen Auftritt. Zu Sommeranfang feiert man den Prosciutto in San Daniele. Der Herbst wartet mit einer köstlichen Wildsaison auf, später werden die Oliven geerntet. Das Jahr im Friaul bietet also viele kulinarische Höhepunkte und damit unendlich viele gute Gründe für eine Reise dorthin.

Zum zweiten Teil der Collio Weinreise mit den Weintipps