Der Verdicchio in den Marken - Das Schattendasein ist passé

Castelli di Jesi und Matelica sind die coolen Weinbaugebiete

Verdicchio führte lange ein Schattendasein. Dabei ist der mediterrane Weiße aus dem schlichten Hinterland der Marken der Wein, auf den die Wassertiere der Welt gewartet haben. Kaum ein Weißwein begleitet gegrillten Fisch und Meeresfrüchte knackiger als ein Verdicchio. Das liegt unter anderem an einem hocheleganten Bitterton.

Unaufgeregtes Weingeschäft in den Marken

Stefano Antonuccis Stammplatz für betriebliche Besprechungen hat direkten Anschluss an den Strand, im Hintergrund rauscht das Meer, man hört die Kinder schreien. Stefano hat ein paar Leute aus der Firma eingeladen, ein Essen wie so viele in seinem Beruf als Winzer. Vertriebsleute aus England sind auch gekommen, ein bisschen Bericht zu erstatten von den britischen Inseln. Wenn sie vom Business erzählen, strahlt Stefano unter dem Dreitagebart, und die Gäste an den Nebentischen drehen sich um bei seinem herzhaften Lachen. Zu den ersten Platten mit Pulpo, Scampi und Sardinen gibt es seinen Verdicchio. Kühl und mineralisch muss der Wein jetzt sein. Die Meeresfrüchte umspült der Le Vaglie zudem mit einer knackig frischen Frucht und Säure. Jeder Schluck Verdicchio lässt seinen Trinker am Ende noch mit einem kleinen Bittermandelton zurück. Ganz hinten im Gaumen meldet sich der appetitlich herbe Ton und macht, dass man gleich den nächsten Schluck nehmen möchte. 

Verdicchio und Meeresfrüchte verstehen sich prächtig

Der Meeresfrüchte-Spezialist unter den italienischen Weißweinen wächst allerdings nicht an der Küste. Wie die meisten Einwohner der Marken stammt er aus dem Hinterland, wo sich die Vorberge des Apennin-Gebirges auffalten. Ein paar 100 Meter über dem Meeresspiegel fühlen sich Mensch und Pflanze wohl. Das Klima ist mild und ausgeglichen. Warme Tage, kühle, aber selten kalte  Nächte, das liegt ironischerweise am ungeliebten Meer. Kaum ein Weinstock ist weiter als 30 Kilometer von der Küste entfernt Die Seewinde sorgen bis in hohe Lagen für ausgeglichenes Klima.

Saftig, fruchtig aus Jesi, kühl und nervig aus Matelica 

Etwa in der Mitte der Region unterbrechen drei Täler, an deren Grund Flüsse von Westen in das adriatische Meer strömen, die Formation. Hier setzen sich die Meeresbrisen noch etwas deutlicher durch. Um Jesi erstreckt sich das größte und bekannteste Untergebiet. Obwohl mehr als je- der zweite Verdicchio zusätzlich den Namen des Städtchens trägt, gibt es dort kaum Weingüter. Die meisten Winzer leben in umliegenden Orten wie Montecarotto, Castelplanio, Maiolati Spontini und Cupramontana, die wie kleine Kronen auf den sanften Hügeln des Umlands liegen. Das moderat trockene Klima in der Region bietet der Rebsorte ideale Bedingungen. Lange, trockene Sommer lassen der spätreifen Traube fast immer genug Zeit, sich vollständig zu entwickeln. So entstehen Verdicchios mit viel saftiger Frucht. Weiter im Inland liegt Matelica, die zweite Unterregion. In das hoch gelegene Tal ohne Verbindung zum Meer weht schon mal ein kalter Wind vom Apennin hinunter. Am Horizont türmen sich die verschneiten Berggipfel bis zu 2.500 Meter hoch. Sogar in den Weinbergen fällt zuweilen Schnee. Die Nächte sind frisch, und die Trauben reifen langsam. Hier beginnt die Ernte fast zwei Wochen später als in Jesi. Das heißt etwas. Es dauert länger, bis die Weinstöcke genug Sonne und Hitze aufgenommen haben, dafür bilden sie in den kühlen Nächten feine Säure und Extraktstoffe. Gute Matelica-Weine sind ein bisschen dichter und merklich mineralischer als andere Verdicchios, aber selten.