Vernaccia wird 50! Der passende Moment für eine unverblümte Analyse

Der beliebte Vernaccia war die erste DOC in Italien, was hat ihm das gebracht? Für Steffen Maus ist vor allem er selbst geblieben!

Ein Besuch des Ortes San Gimignano im Februar ist ein wenig skurril. In dieser Jahreszeit trifft man schon einmal eine Gruppe amerikanischer Schüler in den verwinkelten Gassen, doch hält der Ort seinen verdienten Winterschlaf. Kaum wird es Frühling steht er als eines der beliebtesten Ausflugsziele internationaler Gruppenreisen im Fokus der Bustouren von Florenz. Dabei stehen die Geschlechtertürme und die altehrwürdigen Steine im Vordergrund. Man fühlt sich, wie in manch anderen Orten der Toskana, ins späte Mittelalter zurückversetzt, als hier die Pilger ein- und ausgingen. Ich möchte nicht abschweifen, aber der Ort hält manche Überraschung bereit, oder haben Sie gewusst, dass im ehemaligen Kloster im Ortskern noch bis 1996 die größten Mafiabosse inhaftiert waren. Okay, jetzt bin ich wirklich weit vom Thema weg, Wein gehörte sicher nicht zum Wahlgetränk der Inahftierten. Der Bogen ist kaum noch zu spannen, aber spannend ist es trotzdem.

Wenig Raum für Revolutionäres in den Neunzigern - Gut so!

Dem Weißwein Vernaccia waren auch jahrelang enge Grenzen gesetzt. Einerseits wollte jeder Weinliebhaber nur Rotwein kaufen, allenfalls die damals noch unwissenden Chinesen kauften die Flasche als Mitbringsel in einem der vielen Touristenläden. Zudem gab es wenig Investitionsmöglichkeiten in die Weinberge und Keller, weil gute Erlöse für den in die Jahre gekommenen Weißwein kaum zu erzielen waren. Für Investitionen von außen war das Anbaugebiet aus weintechnischer Sicht einfach zu uncharmant, lediglich ein Schweizer Ehepaar landete hier in den Neunzigern, aber weniger aus Gründen der Weinambitionen. Umso mehr hat sich der ursprüngliche Charakter erhalten, die Dutzend Winzer, die wir auf der Weintipp-Seite empfehlen, haben sich zum Weißwein ihrer Gegend bekannt, sind ihm treu geblieben, obwohl er auf wenig Interesse von Marktseite gestoßen ist.

Neben den großen Traditionsbetrieben gibt es ein Dutzend Winzer, die den Vernaccia ungeschminkt ohne Chardonnay oder eine ergänzende Bukettsorte in die Flasche bringen. Sie setzen auf seine Mineralität am Gaumen, die gerne mit salzig beschrieben wird, und auf die angenehme zurückhaltende Frucht, die fast Chablis-Züge annehmen kann. Mal abgesehen von der moderateren Säure im Vergleich zu dem französischen Kultwein der Achtziger. Auch wenn hier etwas vom alten Glanz zerbröckelt, gibt es doch Weine mit Tiefgang und Charakter abseits des Mainstreams. Ganz anders als der derzeit angesagte Lugana mit seiner fetten, mineralischen Art, die eher an die südliche Rhone-Sorten erinnert, ist der Vernaccia ein eleganter Edelmann, der sich zu kleiden weiß. Doch meine Begeisterung und Zuneigung zu diesem unvergleichbaren Weißwein muss sich nicht in Metaphern ausdrücken.

An alle Weißweinliebhaber - Kaufen Sie jetzt Vernaccia!

Ich empfehle Ihnen den Selbstversuch. Warten Sie auf den perfekten Weißweinjahrgang 2015, der ab Mai oder Juni erhältlich sein sollte. Probieren sie bei ausgesuchten Weingütern die Selektionsweine aus den Vorjahren ab 2013 rückwärts und legen Sie - falls sie Weißwein lieben, und nicht nur Riesling rauf und runter deklinieren wollen -, sich ein bis zwei Kisten davon in den Keller. Irgendwann ist die Zeit gekommen, dann trumpfen die Weißweine auf, die, anders als Sauvignon blanc oder Muskateller, ihre Stärken am Gaumen ausspielen. Dazu zählt der Vernaccia zweifelsohne.

Erstaunlich, dass aus den zumeist in die Jahre gekommenen Weinbergen solche Qualitäten zu ernten sind. Was wäre möglich, wenn die Weinberge erst runderneuert wären. Doch werden dafür noch einige Jahre ins Land gehen und es wird davon abhängen, wie weit die Weine auch in deutschen Landen wieder ihre Liebhaber finden. Glücklicherweise gibt es auch in modernen Weinkonzeptläden wie dem Weinkommissar in Bonn oder Dortmund Einkäufer, die dem Vernaccia eine Chance geben, und ihm einem Publikum vorstellen, das keine Vorurteile aus vergangenen Massenweinzeiten mitbringt.  Es soll lediglich darauf hingewiesen werden, dass hier ein Wein mit langer Geschichte auf eher leisen Pfoten daherkommt. Dann lassen Sie im zweiten Hinschmecken den 14% Holzweißwein im direkten Vergleich gerne im Glas stehen. Das zumindest würde ich mir für den Weißwein Vernaccia und seine bodenständigen Kleinwinzer wünschen.

Ein Jubiläum oder anders : 50 shades of colours

Ach ja, und zur Frage, was die 50 Jahre DOC zu bedeuten haben noch folgendes. Im Leben ist es manchmal für einen selbst von großer Bedeutung, der Erste zu sein. Manchmal lässt man den anderen auch den Vortritt, was eher humanistisch als markttechnisch gedacht ist. In den Jahren erhielten viele italienische Weine die DOC-Richtlinien. Das ist nunächst gar nichts Besonderes. Es verhilft jedoch, dem Wein in den Zeiten der internetgelenkten Informationsbeschaffungsmaschinerie zu mehr Beachtung. Und mir hilft es, ein paar Worte zum Besten zu geben, die mir am Herzen liegen. Fünfzig werde ich erst in zwei Jahren. Weinwelten wird schon 5 Jahre, auf jedes dieser Jahre bin ich stolz, so wie es die Winzer auf ihre Winzergeschichte sind. Und wer wie ich schon zigmal im Sala Dante des Rathauses mit Fresken aus dem 14. Jahrhundert die Verkostung der besten Vernaccia-Wein erleben durfte, der muss diesen Ort lieben und den Wein und die Winzer, die so eng über ihre Jahresprodukte damit verbunden sind. So viele intensive und leuchtende Farben aus vergangenen Jahrhunderten. WOW! Glücklich sind  die Weinjournalisten, die ihre Neugier und Begeisterung erhalten. Dann dürfen Sie auch die Lanze für einen Weißwein brechen und einen anderen mit weniger Beachtung in die zweite Liga einordnen.

Dieses Jahr zur Prowein waren am Gemeinschaftsstand unter dem Dach der Region Toskana folgende Weingüter, die dem deutschen Markt die Treue halten: Campochiarenti, Fontaleoni, Il Colombaio di Santa Chiara, La Lastra, Poderi Arcangelo, Poderi del Paradiso,Tenuta La Vigna. Und zur Vinitaly 2016 vom 10. bis 13. April in Verona werden dreimal so viele Winzer ihre Weine vorstellen. Mehr Infos finden Sie auf der neu gestalteten Webseite des Konsortiums.