Alexander Magrutsch - Bestandsaufnahme des Vino Nobile aus Montepulciano

Was zeichnet den Vino Nobile von heute aus, welche Winzer überzeugen den Wiener Weinjournalisten?

THESE: Vino Nobile di Montepulciano klingt nicht nur fein. Zuweilen besitzen die besten Weine dieser kleinen Appellation tatsächlich so etwas wie Noblesse. 

Obwohl eines der ersten DOC und später DOCG-Gebiete in Italien, fristet der Vino Nobile di Montepulciano ein gewisses Mauerblümchen-Dasein. Weit weniger bekannt als der Brunello di Montalcino oder gar der Chianti Classico ist er nur die Nummer 3 in der Hierarchie der zentraltoskanischen Weine mit dem Sortenschwerpunkt Sangiovese, der hier Prugnolo Gentile genannt wird. Dass die Appellation innerhalb der Toskana großes Ansehen genießt, beweist das Engagement von Antinori mit dem Weingut La Braccesca und neuerdings auch von Frescobaldi. Geschmacklich ordnet sich der Vino Nobile zwischen den beiden genannten Chianti Classico und Brunello ein. Er ist deutlich feiner und runder als der robuste und kernige „allgemeine“ Chianti Classico und nicht so kraftvoll und mit so viel Tiefgang und Finesse ausgestattet wie die besten Brunello. Beim Boden sind die Unterschiede vor allem im Vergleich zum Chianti Classico prägnanter, denn beim Vino Nobile herrschen Lehm, Sand und Schotter – je nach Lage mit unterschiedlichen Anteilen - vor. Analog zu einigen anderen Weinbaugebieten Italiens sind vor einigen Jahren Subzonen, Einzellagen und Weingärten offiziell deklariert und festgeschrieben worden.
Im Vergleich zum Brunello, der zu 100% aus Sangiovese-Trauben bestehen muss, geht man beim Vino Nobile einen ähnlichen Weg wie beim Chianti Classico mit dem Unterschied, dass der Anteil an Komplementärsorten noch größer sein darf. Bis zu 30% regionaler und internationaler Sorten dürfen dem Sangiovese zu Seite stehen; beim Chianti Classico dürfen es maximal 20% sein. Trotz dieser großzügigen Regelung werden die meisten Vino Nobile nach Angabe der Weingüter zu 90% oder mehr aus Prugnolo Gentile, der regionalen Sangiovese-Variante, erzeugt. Die vorgeschriebenen Reifezeiten betragen beim Vino Nobile zwei Jahre und 3 Jahre für die Riserva.
Die Jahrgänge werden bei allen drei Konsortien mehr oder weniger gleich bewertet. So bestätigte sich bei der diesjährigen Präsentation der Jahrgang 2019 als sehr gelungen, bei 2020 gab es den einen oder anderen alkohollastigen Vertreter mit austrocknendem Tannin und Aroma von gekochten Früchten. Zurzeit gibt es vom Vino Nobile 76 Abfüller und rund die Hälfte präsentiert ihre Weine bei den alljährlichen Anteprima-Verkostungen in der Fortezza von Montepulciano. Das eine oder andere empfehlenswerte Weingut wie etwa das Bio-Weingut Il Conventino oder Innocenti nimmt nur alle paar Jahre teil. Das historisch bedeutende Weingut Avignonesi hat sich vor wenigen Jahren offensichtlich zurückgezogen. Dafür gibt es alle paar Jahre aber auch neue Weingüter, die für Überraschungen sorgen, wie derzeit Manvi.

Der kleine und feine Kreis der besten Erzeuger – Tipps von Alexander Magrutsch

Zwei Weingüter, die mich seit über 20 Jahren mit konstant ausgezeichneten Weinen beeindrucken sind Boscarelli und die Tenuta di Gracciano della Seta. Daneben sind Poliziano, Contucci, Le Bèrne und Il Conventino zu empfehlen. Bei fast allen Weingütern finde ich, dass der Vino Nobile der wunderbar typische Wein der Region ist und mehr Harmonie und Eleganz ausstrahlt als die vergleichbare Riserva, wo es schnell einmal von allen Komponenten des Weins zu viel werden kann. Zu üppig, zu viel Tannin, zu viel Alkohol und manchmal auch zu viel Holz vom Ausbau in neuen kleinen und mittelgroßen Fässern.
Boscarelli
Schon der Rosso di Montepulciano von Familie De Ferrari überzeugt als frischere und leichtere Variante des Vino Nobile. Dass der Vino Nobile der Star ist, haben Verkostungen mit bis zu 25 Jahre gereiften Vertretern bewiesen. Im Vordergrund steht dabei immer die Eleganz der Weine, eingehüllt in einen Mantel aus süßer Frucht und kräftigem, aber immer samtigem Tannin. Für mich ist der Vino Nobile jedes Jahr so etwas wie eine Benchmark – 2020 steht hier wieder an vorderster Front. Höchste Konzentration findet man bei der Selezione Nocio.

Tenuta di Gracciano della Seta
Eleganz ist auch das Stichwort, wenn man über die vielschichtigen Weine von der Tenuta di Gracciano della Seta spricht. Seit der Errichtung des neuen Kellers vor rund 12 Jahren scheinen die Weine noch ein bisschen feiner geworden zu sein. Auch hier stelle ich den Vino Nobile (wie den köstlichen 2019) bei meiner persönlichen Beliebtheitsskala gerne über die Riserva.

Contucci
Zu den alten noblen Familien mit historischem Palazzo nächst der Kirche im Zentrum von Montepulciano zählt Contucci. Von aristokratischer Zurückhaltung sind auch die Weine geprägt. Besonders interessant sind die direkten Vergleiche von Weinen aus Einzellagen beziehungsweise unterschiedlichen Bodenarten wie Mulinvecchio oder Pietra Rossa (Roter Stein). Aktuell zeigt der Vino Nobile 2018, dass hier auch vermeintlich schwächere Jahrgänge gut gelingen.

Manvi
Neu im Bunde der absoluten Top-Weingüter ist Manvi, das erst vor wenigen Jahren erstmals bei der Jahrgangspräsentation im Palazzo Vecchio teilgenommen hat. Obwohl ich tendenziell Wein aus dem großen Fass bevorzuge, konnte man dieses Jahr gleich mit zwei Weinen überzeugen, die zumindest teilweise in neuen Fässern ausgebaut werden: Der Vino Nobile Arya 2020 punktet im Vergleich mit den oft breit und müde wirkenden Vertretern desselben Jahres von anderen Weingütern mit Frische. Die Riserva Ojas von 2019 fasziniert mit feinstrahliger Frucht und toller Spannung bis in den Abgang, wie man sie selten antrifft.

Poliziano
Wer über den Vino Nobile spricht, sollte die Weine von Poliziano kennen. Es sind immer geschliffene Weine mit einem guten Maß an Trinkvergnügen. Die Selektion Asinone ist fast schon eine Legende. 

Avigonesi
Avigonesi sollte man ebenfalls kennen. Allerdings sind die recht tanninreichen Weine, über die bereits vor vielen Jahren und Jahrzehnten viel gesprochen wurde, Geschichte. Seit der Übernahme im Jahr 2009 durch die Belgierin Virginie Saverys hat sich vieles verändert. Die Hinwendung zum biodynamischen Weinbau hat sich in den Jahren danach aromatisch und geschmacklich bemerkbar gemacht, allerdings nicht unbedingt zum Vorteil der Weine. Leider hat sich das Weingut vor wenigen Jahren von der Anteprima-Präsentation zurückgezogen, womit die aktuellen Weine nicht mehr vor Ort verkostet und verglichen werden können.

Bindella
Als Investment aus der Schweiz hat man mit den ersten Jahrgängen erstmals in den 1980er Jahren für Aufsehen gesorgt. Der Ausbau im neuen Holz war damals state oft the art und zieht sich bis heute in einer gemäßigteren Form wie ein roter Faden durch die Weine und Jahrzehnte.

Il Conventino
Den Bio-Gedanken hält seit vielen Jahren das Weingut Il Conventino hoch und konnte schon oft mit robusten und zugleich eleganten, wie auch animierenden Weinen mehr als nur gefallen.

Weitere Tipps
Le Bèrne geht bei der Reifung des Vino Nobile einen Mittelweg aus traditionellem, großem Holzfass und kleinen Fässern. Das steht manchen Jahrgängen wie aktuell dem Vino Nobile 2020 ganz ausgezeichnet, bei der ebenfalls sehr guten Riserva von 2019 treten die Röstaromen im Abgang etwas hervor. Deutlicher vom kleinen Fass geprägt sind die Weine von Il Molinaccio und Vannutelli, die ebenso wie die konservativer arbeitenden Weingüter Montemercurio und D&D erst seit wenigen Jahren ihre Weine füllen und weiter zu beobachten sind.