Italiens Weingeschichte in den Jahren von 1990 bis 2000

Vor dem Millenium - Die Neunziger waren ein furioses Jahrzehnt!

Indessen suchten weltweit immer mehr Weinfreunde Rotwein, und die Winzer versuchten, es ihnen Recht zu machen. Selbst in San Gimignano, der traditionsreichen Weißweingegend der Toskana, wurden internationale Modeweine angepflanzt. Nicht immer mit wirklich überzeugenden Ergebnissen, zumal der Schwerpunkt auf französischen Sorten, wie Cabernet Sauvignon und Merlot, lag, die senerzeit weltweit im Trend lagen.
Mitte des Jahrzehnts geriet eine Region in den Focus, die vorher für Weine kaum bekannt war: Süditalien. Vor allem etablierte Kellereien aus dem Norden investierten in Sizilien und Apulien, sie hatten das Potenzial für kraftvolle Rote erkannt. Mit den neuen technischen Möglichkeiten entstanden bald auch dort Qualitätsweine aus kaum bekannten regionalen Rebsorten. In weniger als zehn Jahren verlängerte sich die Weinkarte um ein Drittel.

Italiens Süden zaubert mit einheimischen Sorten

Der breite Trend, Weine vor allem nach ihrer Rebsorte auszuwählen, der im vergangenen Jahrzehnt aufgekommen und bis heute nicht abgeebbt ist, kam dem Mezzogiorno entgegen. Außer populären Rebsorten sah die Weinwelt nämlich auch immer mehr Weintrinker. Gerade in Ländern, die in der Beziehung bislang unauffällig gewesen waren, stieg Wein zum populären Kulturgut auf. Und die Menge schrie nach neuen Reizen. Da kamen die Apulier und Sizilianer gerade recht. Sorten aus den unendlichen Weiten des Südens wie Nero d’Avola, Negroamaro und Primitivo machten schnell international Karriere. Sogar eine fast tot geglaubte Sorte wie Aglianico wurde zu neuem Leben erweckt.

Höchstbewertungen fürs Piemont und die Toskana

Eine Art zweite Revolution begann ebenfalls Mitte der neunziger Jahre. Man hatte die Bedeutung der Anbaumethoden und der Qualität des Pflanzguts erkannt. Gut angepasste Setzlinge, die auf geringe Erträge gezüchtet waren, ersetzten alte überproduktive Reben. Dicht gedrängt wurden die neuen Weinberge bestockt, denn Pflanzen, die sich gegenseitig Konkurrenz machen, erbringen besseren Wein.
Die Neuerungen sollten sich schnell auszahlen. Vor allem in dem einträglichen Exportmarkt USA erzielten Brunello und Barolo Höchstbewertungen und -preise. Italien war auf einmal angesagt wie noch nie, selbst aus Japan kamen junge Köche in die Toskana, um italienische Kochkunst zu lernen. In Italien wollte fast jeder Weinliebhaber Sommelier werden, die Fortbildungskurse boomten. Am Ende des Jahrzehnts gab es allein fünf Weinführer, die neben immer besseren Bewertungen auch immer höhere Preise notierten. Mit ausreichend Naivität und Selbstüberschätzung, dafür weniger Sachkenntnis stiegen immer mehr Neulinge in das Geschäft ein, verlangten schon für ihre ersten Jahrgänge nie dagewesene Preise von 50 Euro pro Flasche und mehr. Nur wenige erkannten das Risiko der Preisspirale, die irgendwann überdrehen musste.

In der Kritik - Uniforme Weine für die Weinführer

Gleichzeitig war der Stil des Weins nie zuvor so planbar gewesen, und die Zeichen der Zeit standen auf fett. Viel Alkohol, viel Farbe, viel Frucht, viel Holz waren angesagt. Manche Weine wurden so schwer, dass abgeklärte Kritiker stöhnten, man könnte sie statt des Essens kauen, das sie eigentlich begleiten sollten. Bei vielen Modernisten war von der leichten Eleganz und Finesse der traditionellen italienischen Weine nicht mehr viel übrig, zumal gerade sie auf auswärtige Modesorten wie Chardonnay, Merlot und Cabernet Sauvignon umgestiegen waren.
So verkauften sich die Weine auf den internationalen Märkten besser. Sie verloren aber ihre Individualität, weil sie von Weinen aus Kalifornien und Australien, den Vorreitern dieses Stils, nicht mehr zu unterscheiden waren. Das jahrhundertealte Konzept, dass der Wein ein Resultat seiner Herkunft, der Erde, des Klimas und der Witterung ist, galt nicht mehr.

Einheimische Rebsorten sind die Gewinner in Italien

Andererseits wurden regionale Rebsorten euphorisch hoch gehandelt, die es gar nicht unbedingt verdient hatten. Weinkenner philosophierten über den Pignolo aus dem Friaul, von dem es damals gerade ein paar Tausend Flaschen gab. In Apulien wurde die Sorte Uva di Troia als der nächste Rotweinstar aus dem Süden gehandelt, obwohl sie gerade mal eine Handvoll Erzeuger in Flaschenweinqualität ausbauten. Es gab sogar eine Weinmesse allein für authochtone Sorten.