Brunello-bashing - Chianti Classico ist der bessere Sangiovese

Wer braucht Brunello, wenn er Sangiovese aus dem Gallo Nero-Land haben kann

PREIS - Brunello kostet deutlich mehr!

Die Spitzenweine Chianti Classico Riserva und Gran Selezione Weine sind günstiger als der Brunello di Montalcino, der mit dem Jahrgang 2015 bei etlichen Weingütern im Preis stark angezogen hat. Zwei Beispiele von vielen sind Il Poggione - von 32 auf 42 € - und Canalicchio di Sopra - von 42 auf 55 € - in nur 3 Jahren, vom 2012er zum 2015er Jahrgang! Zudem ist der günstigere Zweitwein Rosso di Montalcino wenig gefragt und wird daher von den Weingütern eher stiefmütterlich behandelt. Der Chianti Classico (Annata) ist dagegen eine wichtige Referenz und Visitenkarte für die Winzer im Chianti.

HYPE - Seit Jahren erhält der Brunello überzogene Bewertungen!

Die Bewertungen der amerikanischen Weinschreiber angefangen vom Winespectator bis zum in Asien populären James Suckling treiben die Preise. Manche mutmaßen dahinter ein kalkuliertes Spiel mit dem Handel, denn mit der kleineren Menge lässt sich gut spekulieren. Lange waren es nur 5-6 Mill. Flaschen, jetzt wurden schon 10 Mill. Flaschen 2015er Brunello weltweit verteilt. 
Vom Chianti Classico gibt es seit Jahren zwischen 30-35 Mill. Flaschen. Und es gibt nur rund 2 Mill. Flaschen der noch recht jungen Spitzenkategorie Gran Selezione. Hoffen wir, dass die Winzer auf dem Teppich bleiben und die Kritiker die Preise nicht verderben… 
Im Chianti des Gallo Nero gibt es neben den 20 berühmten Weingütern noch einmal mehr als 130 Betriebe mit grandiosen, eigenständigen und handwerklich gut gemachten Sangiovese-Weinen. Im Brunello-Gebiet sind es dagegen nur 40-50 Weingüter mit Format und eigenem, sauberen Stil. 

PROBLEMATIK – Heißes Terroir  > Knifflige Weinbereitung

Es fehlt etlichen Weinbauern in Montalcino, die ihren Wein erst seit 15 Jahren abfüllen, an der Erfahrung in der Weinbereitung. Die Anzahl der Weingüter und die Rebfläche haben sich dagegen in den Neunzigern verdoppelt! 
In den überwiegend heißen und trockenen Jahren baut sich fiel Stress in der Rebe und der Traube auf, geht der Zuckergehalt (und der resultierende Alkohol) vor der Ernte durch die Decke. Der Großteil der jungen Weinberge liegen in den südlichen, sehr heißen Lagen von Montalcino, in Castelnuovo d’Abate bzw. Colle Sant’Angelo. Es ist verständlicherweise schwer, bei 30-40° im Weinberg - und das über Wochen - die Frucht und die Harmonie zu erhalten. 

GESCHMACK - Frischere Aromen und moderatere Gerbstoff beim Chianti

Das Klima des heißen und trockenen Montalcino bedingt verkochte, marmeladige Aromen und ein gestresstes Gesamtgefühl des Weines. Sangiovese ist kein Negroamaro oder Nero d’Avola, der an die Hitze angepasst ist. Sangiovese ist im Gerbstoff und der Frucht eine empfindliche Sorte. Sangiovese ist eine in Weinberg und Keller herausfordernde Rebe - mit seiner dünnen Schale und fragilen Aromen! Deshalb liebt sie die kühleren Gegenden im Chianti: hier fühlt sie sich wohl, sind die Winzer klar im Vorteil.
Beim Chianti Classico dominieren Kirsche und Veilchen. Die Gerbstoff sind ebenso fordernd, zugleich aber eleganter - im Gegensatz zu den massiven Brunello-Gerbstoffen, die Klon, südliche Lage, Boden und Lagerpotenzial bedingen. Beim berühmten Brunello ist neben der Kirsche und den Veilchen die dritte Geschmackssäule (ätherische Trockenkräuter) ein tragendes Fundament. Das kann sich störend auf die anderen beiden Komponenten auswirken.

GESCHICHTE - 300 Jahre Weinbau und Weinadel schmeckt man!

In den Hügeln von Florenz und Siena gibt es den Chianti schon seit 1716. Sehr erfolgreich war er zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. In den Achtzigern kauften sich etliche Menschen aus ganz Europa mit klaren Überzeugungen ein Weingut und das Toskana feeling: denn so schön wie hier, ist es sonst nirgendwo in Italien!
Im Vergleich dazu ist das Gebiet von Montalcino ein arides Bauernland, in dem die Menschen vor dem Brunello-Erfolg in bescheidenen Verhältnissen lebten. Noble Familien wie Biondi-Santi oder Cinelli-Colombini sind hier die Ausnahme. Für das menschliche Gehirn ist es gar nicht so einfach, den rasanten Erfolg der letzten 30 Jahre zu verkraften, nicht einfach so schnell mitzuwachsen...Junge Weinbauern wurden fast über Nacht zu gefragten Weinerzeugern. Das brachte viel Gutes, doch wurde das Land in Montalcino auch zum Spekulationsobjekt für Investmentfonds. Irgendwie passt das nicht zusammen. So ist nun das berühmte Weingut Biondi-Santi nun ein Teil des Portfolios einer französischen Luxus-Artikel-Unternehmensgruppe.

FAZIT - Selbst hinschmecken...

Es gibt herausragende Brunello-Weine - wie Le Potazzine oder Salvioni. Für mich sind es die Chianti Classico-Weine, die ich jedem Brunello vorziehe. Denn Chianti Classico schmeckt feiner und nobler, der Brunello eher rustikaler und erdiger. Chianti Classico schmeckt selbst in der Gran Selezione-Kategorie leichtfüßiger als der korpulente Brunello. Fühlen Sie meinen Thesen auf den Zahn! Die von mir getroffene kleine Auswahl, die Weine von Querciabella, Monteraponi, Gioia Cresti, Poggio al Sole und Rocca di Montegrossi gibt es zum Reinschmecken beim Online-Händler Vipino.

Zur Chianti-Classico-Auswahl
Foto oben: Chianti Classico Präsentation in Florenz, im Bild Steffen Maus und Christine Lechner vom Konsortium Chianti Classico - Foto unten: Impressionen aus dem Weingut Salvioni in Montalcino.