Die Weine auf Ischia - Eine Liebesgeschichte von Rozsika Farkas

Angeli pazzi, „verrückte Engel“, nennt man auf Ischia die Winzer, die in extremen Steillagen Wein anbauen

KERNAUSSAGE: Ischia, die Insel im Golf von Neapel, hat in den letzten Jahren mit Weißweinen von erstaunlicher Qualität Aufmerksamkeit erregt. Die allerbesten bestehen reinsortig aus der uralten Rebsorte Biancolella.

Wein? Wer denkt bei Ischia gleich an Wein! Ist doch die Flüssigkeit, mit der die mediterrane Insel vor allem assoziiert wird, zunächst das Thermalwasser, in dem sich seit vielen Jahrzehnten hüftlahme Deutsche aalen - in der Hoffnung, wieder etwas von der verlorenen Beweglichkeit wiederzugewinnen. 

Dabei war in vergangenen Jahrhunderten Wein so ziemlich das einzige Produkt der Neapel vorgelagerten Insel. Flächendeckend im wahrsten Sinne des Wortes. Von den 43 Quadratkilometern, die das Inselchen misst – zum Vergleich: die Stadt München erstreckt sich über 310 Quadratkilometer – waren 30 mit Reben bestockt. Vornehmlich mit weißen Rebsorten, auch heute sind achtzig Prozent der Inselweine weiß. Biancolella ist DIE ischitanische Rebsorte. Zwar sind auch auf dem Festland sowie auf den Nachbarinseln Procida und Capri Rebflächen mit Biancolella bestockt, aber die besten reinsortigen Biancolella kommen definitiv aus Ischia, sodass die Rebsorte als autochthon angesehen wird. Die Weine sind feinfruchtig, mit Anklängen an Zitrus- und gelbfleischige Früchte, mit salzig-mineralischen und zarten Mandel- und Gewürznoten. Biancolella wurde vermutlich um 800 vor unserer Zeitrechnung von den Griechen aus Euböa über Korsika nach Kampanien gebracht. Sie reift spät, die Lese findet meist erst Anfang Oktober statt.
Die zweite spannende weiße Rebsorte ist Forastera, sie kam erst auf die Insel, nachdem die Reblaus in den Weinbergen gewütet hatte. Ihr Reiz besteht in den etwas herberen Kräuternoten. Mittlerweile gibt es Forastera so gut wie nur noch auf Ischia. Die Basisvariante etwa von Cenatiempo überzeugt mit feinen mineralischen Noten und dem Duft der Macchia; der Wein trumpft nicht mit lauten Aromen auf, sondern passt sich so still wie selbstbewusst an sämtliche Gerichte aus dem Meer an: Er paart sich auf das Schönste mit Spaghetti alle vongole oder Risotto alla pescatora, mit frittierten Sardinen oder Wolfsbarsch in der Salzkruste. Selbstverständlich verträgt er sich mit jedem vegetarischen Gericht, und auch das ischitanische Kaninchen findet in ihm einen passenden Begleiter. So leicht geht das, dass man in Versuchung kommen könnte, sich Abend für Abend mit diesem Wein zu vergnügen. 

Ischia besitzt weitgehend unbekannte Rebsorten 

Was aber schade wäre. Denn unbedingt lohnen auch die Roten den Versuch, allen voran der Epomeo rosso, bei dem sich die rote Hauptrebsorte Per e’ Palummo („Taubenfuß“) mit anderen autochthonen roten Trauben mischt. Von erfreulicher Qualität ist etwa der elegant-fruchtige Epomeo rosso von Tommasone; beeindruckend der kräftiger strukturierte Mille Anni („1000 Jahre“) von Casa d’Ambra, dem bekanntesten Weingut der Insel. 

Vor allem aber gilt es, Biancolella zu probieren. Drei Weine aus der weithin unbekannten alten weißen Rebe haben in den letzten Jahren Furore gemacht. Da ist einmal der Lagenwein Frassitelli von Casa d’Ambra, Ischias ältestes, 1888 gegründetes, Weingut und lange Zeit das einzige, das über die Insel hinaus für seine hohe Qualität bekannt war. Die Reben für den Frassitelli – der erste Weißwein Kampaniens, dem der Weinführer Vini d’Italia schon vor vielen Jahren die Höchstwertung 3 Gläser verliehen hat – wachsen hoch über dem Meer, an Hängen, die den extremsten Lagen an der Mosel in puncto Steilheit nicht nachstehen. Angeli pazzi, „verrückte Engel“, werden hier die Winzer genannt, die sich in den steilen Lagen abmühen. Zur sortentypischen zarten Frucht der Rebsorte steuern die vulkanischen Böden und die Salzigkeit des Meeres Mineralität, Tiefe und Charakter bei. Unterschätzt wird von den meisten Liebhabern das Reifepotenzial des Weins. Wir tranken mit großem Genuss zum typischsten Inselgericht, dem geschmorten Wildkaninchen, einen Frassitelli 2008, der prächtig goldgelb im Glas stand, üppig-cremig duftend, mit Fruchtnoten und schöner Mineralik, straff und opulent zugleich. Lange galt Casa d’Ambra als einziges namhaftes Weingut der Insel. Dass es sich heute den guten Ruf mit mindestens zwei weiteren Erzeugern teilen muss, stimmt Sara d’Ambra eher fröhlich. Die studierte Önologin, die demnächst in die Fußstapfen ihres Vaters Andrea treten dürfte, freut sich, dass Ischia insgesamt an Renommee gewinnt und als Herkunft ausgezeichneter Weine bekannter wird. 

Ischia - Bester trockener Weißwein Italiens

Aber so richtig ins Bewusstsein drang das Potenzial der Rebsorte erst 2017: Es war eine Riesenüberraschung, als im Frühjahr 2017 auf der Vinitaly der reinsortige Biancolella Vigna del Lume der Cantine Antonio Mazzella zum besten trockenen Weißwein Italiens gekürt wurde. Entgegengenommen haben den Preis Nicola und Vera Mazzella, die in dritter Generation das 1940 gegründete Weingut führen. Eigentlich gebührt er aber Antonio Mazzella, dem Vater, der das Weingut geprägt hat und der sich den extremen Herausforderungen des Terroirs gestellt hat: Die Lage Vigna del Lume ist ein Steilhang direkt über dem Meer, die Trauben werden in mühsamer Handarbeit gelesen, dann in Tuffsteinhöhlen gepresst und der Most anschließend mit dem Boot zur Kellerei transportiert. Gerade mal 6.000 Flaschen entstehen auf diese Weise. Antonio Mazzella ist ein kleiner älterer Herr von bescheidenem Auftreten. „Nicht ich habe gewonnen“, wehrt er die Gratulation ab, „Ischia hat gewonnen“. 2019 triumphierte die Insel mit dem Vigna del Lume ein zweites Mal: Wieder wurde ihm der Titel des besten trockenen Weißweins Italiens zuerkannt. Was den Wein auszeichnet, ist, dass er bei anhaltender Länge aufs Schönste die Balance hält zwischen Kraft und Eleganz, frischer Säure und mineralischer Tiefe, Noten von Früchten, Blüten und Kräutern. Auch für den Vigna del Lume gilt: Es wäre schade, ihn vorschnell zu trinken und sich so um die Freude zu bringen, die der gereifte Wein bereitet.

Dritter in der Runde der herausragenden Biancolella-Weine ist der „Kalimera“ – griechisch für „guten Morgen“ – von Pasquale Cenatiempo, vom Decanter jüngst zu einem der 50 besten Weine der Welt erklärt. In ihm verbinden sich frische Noten von Zitrusfrüchten, Melone, Birne und Blüten mit feinen Gewürztönen und salziger Mineralik. Der Wein ist perfekt ausbalanciert, komplex und elegant und besitzt genügend Struktur, um gut zu reifen – und ist damit zu schade für den vorschnellen Genuss. Der Winzer mag es jedenfalls nicht mehr hinnehmen, dass seine Weine so vollständig vor der Zeit getrunken werden. Auf der Vinitaly in Verona präsentiert er inzwischen nicht mehr den kaum gefüllten Wein, sondern denjenigen, der bereits ein Jahr in der Flasche ruhen und reifen durfte. Jetzt sind viele der Kunden des Weinguts beleidigt, weil sie nicht die Mengen bekommen, die sie gern hätten, oder sie womöglich gar nichts abbekommen, weil die 12.000 Flaschen schlicht ausverkauft sind. Wenn in den Gasthäusern der Insel der alte Jahrgang aus ist, drängen die Wirte, doch bitte den neuen Jahrgang herzugeben. Aber da bleibt Pasquale inzwischen hart, auch wenn er den einen oder anderen damit vergrätzt. „Aber das sind Luxusprobleme“, gibt er vergnügt zu. Im Keller in den Weinbergen oberhalb von Sant’Angelo bewahrt er ältere Jahrgänge auf. Der alte – regelrecht museale – Keller aus dem 17. Jahrhundert ist erstaunlich geräumig. Drei Abteile befinden sich dort, in denen einst die Trauben mit den Füßen gestampft wurden, Hinweis darauf, um wie vieles umfangreicher die Produktion einst war – bevor die Insel sich beinahe zur Gänze dem Tourismus verschrieb. 

Biancolella vom Vulkangestein

Dass Ischia sich derart als Herkunft der besten kampanischen Weißweine hervortut, mag erstaunen, aber das vulkanische Eiland ist eben eine ganze Welt für sich. Ischia hat ein extrem abwechslungsreiches Terroir. Eine geologische Karte zeigt, dass das Inselchen mehr Vielfalt aufweist als der riesige Rest Kampaniens mit seinen mehr als vierzigtausend Hektar Rebfläche (immerhin 40 Prozent der Gesamtrebfläche Deutschlands). In mancher Parzelle liegen die unterschiedlichsten Terroirs direkt nebeneinander. 

Die nur unter größten Anstrengungen zu bewirtschaftenden Weinberge zwingen den Winzern ihre Natur auf. Der sich die Guten unter ihnen bereitwillig fügen. Mazzella, d’Ambra und Cenatiempo – sie alle arbeiten so naturnah wie nur irgend möglich, verzichten auf chemische Hilfsmittel im Keller wie im Weinberg, Bio ist für sie keine lauthals verkündete, auf den Markt spekulierende Entscheidung, sondern pure Selbstverständlichkeit. So kann man den ischitanischen Weinen, die vor Jahrhunderten als gesundheitsfördernd gerühmt wurden, heute zumindest gute Verträglichkeit attestieren. Wellness für den Gaumen sind sie allemal. 
Nicht nur Ischias Thermen, auch Ischias Weine sind eine Reise wert! 

Weingüter-Tipps zum Besuchen

Casa d’Ambra - www.dambravini.com   

Cantine Antonio Mazzella - www.ischiavini.it  

Cenatiempo Vini d’Ischia - www.vinicenatiempo.it  

Andrea Christmann, freie Autorin aus Hamburg, besuchte das Weingut Cantina di Crateca auf Ischia, ein historisches, Weingut, das die Familie Castagna vor wenigen Jahren aufwendig restauriert hat. Dort werden 450 Meter über dem Golf von Neapel die Reben für die historischen Rot- und Weißweinsorten Guamaccia, Piedirosso, Aglianico, Biancolelle und Fiano angebaut.