Aglianico - Die unbekannten "Spröden" aus dem Süden

Ein Rotwein aus den Anbaugebieten Taurasi und Vulture in Kampanien

Nein, sie gehören nicht zu den anschmiegsamen weichen Geschöpfen, die es einem leicht machen, sich sofort in sie zu verlieben. Sie geben sich eher spröde, verlangen einem etwas Geduld ab, bevor sie sich öffnen. Aber wenn man ihnen Zeit gibt, dann offenbaren die Rotweine aus der Rebsorte Aglianico sich als markante Charaktere mit der Fähigkeit, in Würde zu altern.

Taurasi ist eigen

Antonio Caggiano ist ein Mann mit Leidenschaften. Er ist einer der bekanntesten Winzer aus Taurasi, einem Ort, der großen Rotweinen ihren Namen gab. Erst 1990 hat der charismatische, spät berufene Winzer und gelernte Architekt begonnen, Aglianico-Trauben zu kultivieren, in Weinbergen, die man vom alten Schloss in der Altstadt überblickt. Wer den vor Energie sprühenden Kampanier durch seine Keller begleitet, wo ausschließlich Rotweine lagern, fühlt, mit wieviel Herzblut er als Winzer bei der Sache ist. Und man stößt überall auf seine weiteren Leidenschaften: Antonio ist nämlich ein begeisterter Fotograf, ein Liebhaber schöner Frauen und - wie so viele Süditaliener - auch ein tief religiöser Mann. Die Wände seiner Kellerei sind vollgehängt mit sinnlichen (Frauen)Fotos, die in aller Welt entstanden und deren Schauplätze den Winzer zu außergewöhnlichen Namen für seine Weine inspirierten. Dazu hat er noch jeden Winkel seines malerischen Weinkellers liebevoll dekoriert. Mit stimmungsvollen Wandmalereien, kunterbunten Krippen, mächtigen Kreuzen aus den Böden von Weinflaschen und einem Altar, damit der göttliche Funke auch auf seine Weine überspringt. Das ist auch durchaus berechtigt: seine Weine zählen schließlich zu den besten aus dem Anbaugebiet des Aglianico. Die Holztöne dürften freilich gemäßigter sein.

Wiedergeburt eines Weines

Man kann Antonio Caggiano seine Leidenschaft für Aglianico nicht verdenken. Sie ist die interessanteste Rebsorte südlich von Rom. Schon vor mehr als 2.500 Jahren von den Griechen eingeführt, ist sie die Basis für trockene, aromatische und komplexe Rotweine mit Tiefe, die Fans gerne als „Barolo des Südens“ bezeichnen. Im Gegensatz zum Barolo aber, der wahrlich in aller Munde ist, kennen sie hierzulande nur wenige Weinliebhaber. Zu dürftig war die bisher erzeugte Menge, zu bescheiden die Zahl der ansprechenden Weine, zu spröde ihr erster Eindruck. 

Aglianico in Taurasi - Rotwein mit Tiefe

Die Weine aus der Rebsorte Aglianico sind sehr farbintensiv, liegen rubinrot bis mahagonifarben im Glas, besitzen eine präsente Säure und viel, sehr viel Gerbstoff. Während andere Rotweine sich beispielsweise über ihre Fruchtigkeit erschließen, sind beim Aglianico die eigenwilligen Gerbstoffe die Schlüssel zum Verständnis des Weines. Die Rotweine, welche die Besonderheiten der Rebsorte am eindruckvollsten zum Ausdruck bringen, sind die Topweine aus Taurasi, dem traditionsreichsten Rotweinanbaugebiet Kampaniens, sowie die Weine aus der Gegend um den Vulkan Vulture in der Region Basilikata. Zwar wird die Rebsorte Aglianico in der ganzen Region Kampanien angebaut – an der Küste ebenso wie in der nördlichen Provinz Benevento. Hier konzentrieren wir uns wegen ihres eigenständigen Charakters auf die beiden Anbaugebiete Taurasi und Vulture.

Wichtig zu wissen: Der Wein Aglianico del Vulture wird vollständig aus der Rebsorte Aglianico erzeugt. Beim Wein Taurasi können dagegen bis zu 15 Prozent anderer Sorten mit verschnitten werden. In Frage kommen dafür einheimische Sorten wie Piedirosso oder die internationalen Rebsorten Merlot oder Cabernet Sauvignon. Bis auf ganz wenige Ausnahmen setzen die Taurasi-Winzer jedoch vollständig auf die Größe und den noblen Charakter der Rebsorte Aglianico, bauen also reinsortig aus.

Das Anbaugebiet Taurasi beginnt dort, wo die Weißweinanbaugebiete Fiano di Avellino und Greco di Tufo enden – 20 Kilometer östlich der Provinzhauptstadt Avellino. Es ist weitläufig, denn die relativ kleine Menge Weingärten verteilt sich auf eine große Fläche von 17 Gemeinden. Eine davon ist der Ort Taurasi, der den Weinen der Region ihren Namen gab. Weitere Orte wie Montefalcione, Montemarano, Montemiletto zeigen durch die Vorsilbe Monte (Berg), dass wir uns im Vorgebirge befinden. In der kontrastreichen Landschaft wechseln sich imposante Gebirgszüge und sattgrüne Hügelketten ab mit Weizenfeldern und kleinen Flüsschen, die sich im Fluss Calore vereinen. Die Weinberge liegen in kleinen Parzellen verstreut in den umliegenden Hügeln auf einer Höhe von 250 bis 550 Metern.

Hier sind die meist kurzen Winter hart und für den Süden vergleichsweise schneereich. Der Frühling erreicht die Aglianico-Reben erst zwei Wochen später als die nicht weit entfernte Amalfiküste. Die Sommerperiode ist erwartungsgemäß lang, sonnig und heiß. Temperaturen von 35 bis 40° C im Juli und August sind trotz der gebirgigen Lage keine Seltenheit. Glücklicherweise sorgen Abendwinde für die Abkühlung von Menschen und Trauben. Es regnet sehr selten, und der Herbst dauert länger als an der Küste. Dort findet die Lese der Aglianico-Trauben zwei bis drei Wochen früher als im Taurasi-Gebiet statt. Hier ernten die Winzer erst im November die letzten Trauben aus den höher und geschützt gelegenen Weinbergen.

Auch wenn es die relative Nähe des Vesuvs und weiterer kleiner Vulkane nahelegen würde: Im Taurasi-Gebiet stehen die Aglianico-Reben nicht auf der schwarzen Erde, die einst die Vulkane ausspuckten. Es sind vielmehr helle, von Tuffstein oder Kalkgestein durchsetzte Lehmböden mit geringem Sandanteil, wobei der Lehmanteil vielerorts beachtlich ist und dazu führt, dass die urwüchsige Kraft und die prägnanten Gerbstoffe des Taurasi zusätzlich hervorgehoben werden. Die Fachwelt unterteilt gerne in schwere Böden mit hohem Lehmanteil und leichte Böden mit hohem Sandanteil. Vereinfacht gesprochen spiegeln sich diese Bodeneigenschaften auch in den jeweiligen Weinen wider. Ergo ergeben die schweren Böden in Taurasi schwere und kräftige Rotweine.